AfD klagt beim Bundesverfassungsgericht
15. August 2019Der Vorfall, um den es geht, liegt schon einige Tage zurück, beschäftigt jetzt aber das Bundesverfassungsgericht, das höchste deutsche Gericht. Es geschieht am 28. Juni 2019, es ist 1:27 Uhr. Nicht unüblich, dauern Sitzungen des Bundestags öfters bis tief in die Nacht. Das bedeutet Schichtdienst für die Abgeordneten, schließlich kann niemand von 9 Uhr morgens bis 4 Uhr nachts anwesend sein. Nicht selten sind dann die Sitzreihen halb leer.
Drei Gesetze sollen in dieser langen Sitzung verabschiedet werden. Doch die AfD-Fraktion meldet sich zu Wort und zweifelt an der Beschlussfähigkeit des Parlaments. Eigentlich müsste die Hälfte der Abgeordneten anwesend sein, um ein Gesetz beschließen zu dürfen. Die Hälfte der Abgeordneten wären 355 Volksvertreter. Doch es waren - die AfD hat später anhand einer TV-Aufzeichnung nachgezählt - nur rund 100 Abgeordnete. Die Sitzungsleiterin, zu dieser Zeit die Grünen-Politikerin Claudia Roth, sagt auch im Namen der beiden anwesenden Schriftführer: "Wir sind der Meinung, dass die Beschlussfähigkeit gegeben ist." Der AfD-Antrag auf einen sogenannten "Hammelsprung", einem Abstimmungsverfahren, mit dem die genaue Zahl der Anwesenden hätte festgestellt werden können, wird abgelehnt.
Wie im Kleinen, so im Großen
Das sei nicht rechtens gewesen, sagt die AfD. Nun ist auch das nicht unüblich, dass Gesetze im Bundestag beschlossen werden, wenn weit weniger als 355 Abgeordnete anwesend sind. So lange sich niemand beschwert, wie es die AfD nun tat, ist das eine parlamentarische Gepflogenheit, die in der Geschäftsordnung auch so vorgesehen ist. Denn die eigentliche Gesetzesarbeit im Bundestag erfolgt in den Ausschüssen - und dort wird meistens schon - wie in einem Test - vorab abgestimmt. Die einzelnen Fraktionsmitglieder halten sich dann später in der Regel an das Votum aus den Ausschüssen.
Das erklärt sich aus dem Doppel-Charakter des Bundestags. Zum einen ist er Präsenz- und zum anderen Arbeitsparlament. Als die AfD im September 2017 in den Reichstag einzog, war vielen das übrigens offensichtlich nicht klar. Denn zunächst waren immer alle oder fast alle der 92 AfD-Abgeordneten präsent. Inzwischen sitzen viele, wie bei den anderen Fraktionen auch, in den oftmals parallel zu Plenarsitzungen tagenden Ausschüssen. Hier wird in kleinerer Runde beraten - auch mit Experten und Lobbyvertretern.
Klage beim Bundesverfassungsgericht
Die AfD beschwerte sich beim Ältestenrat des Bundestags und beim Präsidium - die Sitzungsleiterin Claudia Roth habe am 28.Juni gegen die Geschäftsordnung gehandelt und sich nicht ausreichend mit den Schriftführern abgestimmt. Beide Gremien aber sahen Roth im Recht. Die Beschlussfähigkeit kann laut Gesetz eben auch - entgegen der tatsächlichen Lage - ausgerufen werden.
Daraufhin ging ein Antrag auf einstweilige Anordnung an das Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe, das Inkrafttreten der Gesetze zu verhindern. Parallel wurde der Bundespräsident gebeten, die Gesetze nicht zu unterzeichnen. Erst mit diesem Akt der Unterschrift des höchsten Amtsträgers tritt nämlich in Deutschland ein Gesetz überhaupt in Kraft. Wenn es im gesamten Vorgang Störungen gäbe, müsse man von "Geistergesetzen" sprechen, sagte der rechtspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Stephan Brandner, nun in Berlin. Alles wäre dann sozusagen unrechtmäßig verabschiedet.
Eine Antwort aus Karlsruhe habe die AfD, so hieß es, noch nicht erhalten. Aber das Aktenzeichen - AKZ2BVQ59-19 - sei mitgeteilt worden.
Wie umgehen mit der AfD?
Hinter diesem Einzelfall steckt mehr. Es geht um die Frage: Wie sollen Parteien im Parlament umgehen mit einer Partei, die in Teilen laut Verfassungsschutz gegen die freiheitlich-rechtliche Grundordnung agiert? Bislang arbeiten die anderen Fraktionen in Gesetzesfragen mit der AfD nicht zusammen. Debatten entzündeten sich um Verfahrensfragen. Es gab Streit um die Frage des Alterspräsidenten und der ersten Rede im Bundestag. Nach mehreren Anläufen schaffte es noch kein AfD-Abgeordneter, als Bundestagsvizepräsident gewählt zu werden.
Aus der AfD ist immer wieder zu hören, man wolle "normal" behandelt werden. Die Ablehnung des Hammelsprungs wird von der AfD unter diesem Blickwinkel interpretiert. "Altparteien gegen die AfD" und "Abgrund des Parlamentarismus" formulierte der rechtspolitische Sprecher der AfD Fraktion Brandner.
"Nur bigotte Klagelieder"
Die AfD wolle nur "ein weiteres Mal die demokratischen Institutionen verunglimpfen", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann. "Sie missbraucht das Verfassungsgericht als Propagandabühne." Wäre es der AfD wirklich um die Mehrheitsverhältnisse gegangen, hätte sie sofort eine namentliche Abstimmung im Plenum erzwingen können. "Das hätte klar dokumentiert, welche Abgeordneten teilnehmen. Das hat sie aber nicht getan und damit ist klar, dass es ihr nur um einen Anlass für bigotte Klagelieder ging."
Die AfD stellt sich vor, dass über die drei Gesetze erneut abgestimmt wird. Zwei von ihnen behandeln Datenschutz-Fragen. Dafür waren in der Abstimmung nur die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD. Die Oppositionsparteien hätten, wären viele von ihnen anwesend gewesen, das Gesetz durchfallen lassen können. Aber selbst von der AfD waren nur ein Dutzend Abgeordnete da. Man hält sich an eine andere Gepflogenheit: Dass man selbst bei wenigen Anwesenden auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag, und damit auf den Wählerwillen, achtet. Das heißt aber auch, am Abstimmungsergebnis wird sich wohl nichts ändern, egal wie das oberste Gericht über den nicht genehmigten Hammelsprung urteilt. Mit einem Urteil oder zumindest einer Antwort des höchsten deutschen Gerichts rechnet die AfD in rund drei Monaten.