Adrienne Jordan erfüllt Bundesliga-Traum ihres Bruders
31. Oktober 2022"Ich schaue in den Himmel, atme tief durch und denke nur für eine kleine Sekunde vor dem Anpfiff an Gian-Luc, um mich daran zu erinnern, dass ich nicht nur für mich selbst spiele, und dass ich es einfach nur genießen will."
Adrienne Jordan vollzieht dieses kleine Ritual vor jedem Spiel. Die 28-jährige Verteidigerin von Turbine Potsdam nimmt sich einen Moment Zeit, um an ihren verstorbenen Bruder zu denken und daran, dass sie zehn Jahre nach seinem Tod dessen Traum verwirklicht hat. Seit 2021 spielt die Deutsch-Amerikanerin, die in den USA aufwuchs, in der Bundesliga. Bevor sie im vergangenen Sommer zu Potsdam wechselte, war sie eine Saison lang beim SC Sand aktiv.
Der große Traum des kleinen Bruders von der Bundesliga
Jordan hatte gerade ihr letztes Schuljahr begonnen, als ihr erst zwölfjähriger Bruder Gian-Luc durch einen tragischen Unfall starb. "Es war für mich und meine Familie unglaublich erschütternd", sagte die Deutsch-Amerikanerin der Deutschen Welle. "Wir alle haben an diesem Tag einen besonderen Menschen verloren, der für jeden von uns etwas anderes bedeutet hat."
Bevor er starb, hatte Gian-Luc davon geträumt, später einmal in der Bundesliga zu spielen. "Er hat immer davon gesprochen, meiner Mutter dann ein schönes Haus und ein schickes Auto zu kaufen und all diese schönen Dinge zu tun", erinnert sich Jordan. "Als er starb, gab ich ihm im Stillen das Versprechen, dass ich mein Bestes geben würde, um seinen Traum so gut wie möglich zu erfüllen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, wie es geschehen würde, ich wusste nicht, ob es geschehen würde, aber ich wusste, dass es etwas war, das ich versuchen wollte, zu verwirklichen."
Dennoch wurde der Traum des kleinen Bruders schnell zu einer treibenden Kraft für Adrienne, die damals 17 Jahre alt und selbst eine talentierte Jugendspielerin war und sich entscheiden musste, welche Universität sie besuchen wollte.
Von den USA über halb Europa in die Bundesliga
Von Rückschlägen ließ sich Jordan nicht entmutigen. Nachdem ein Scout ihr sagte, sie sei nicht gut genug, um für eine Spitzenuniversität zu spielen, ging sie an die University of Northern Colorado an und wurde in ihrer Division zweimal zur wertvollsten Spielerin in der Verteidigung gewählt.
"Vorher war ich eine gute Spielerin und danach war ich eine großartige Spielerin", sagt Jordan über ihre Studienzeit. "Das war der Zeitpunkt, an dem ich anfing, ernsthafte Schritte zu unternehmen, um meine Karriere nach dem College fortzusetzen und Profi zu werden."
Danach schickte sie die ersten E-Mails an Bundesligaklubs, die allerdings unbeantwortet blieben. Also bewarb sich Jordan 2016 beim Draft der National Women's Soccer League (NWSL). Sie wurde von den Chicago Red Stars gedraftet, spielte allerdings nie für den Verein, sondern unterschrieb noch im selben Jahr einen Vertrag beim schwedischen Verein Östersunds DFF. So begann in Mittelschweden ihre lange und mühsame Reise nach Deutschland, die Heimat ihrer Mutter. Eine Reise, die sie innerhalb von viereinhalb Jahren zu sechs verschiedenen Vereinen führte.
2017 wechselte Jordan zu IB Vestmannaeyja auf Island und holte sich dort beim Agenten ihrer Teamkollegin und Mitbewohnerin Unterstützung, um ihrem Ziel näher zu kommen, endlich in der Bundesliga zu spielen. "Auch wenn ich von Island zunächst nach Italien und England gehen musste, war jede dieser Stationen ein Sprungbrett, um nach Deutschland zu kommen, was letztendlich mein wichtigstes Ziel war."
2021 war es dann endlich soweit: Jordan verwirklichte den Traum ihres Bruders und unterschrieb im Wintertransferfenster beim Bundesliga-Verein SC Sand. "Ich bin stärker und besser geworden und sehe das Leben jetzt mit anderen Augen", sagt Jordan. "Ich habe viele Jahre gebraucht, um zurückzublicken und alles zu verarbeiten. Ich arbeite heute noch daran."
Nach nur einem Jahr zu Spitzenteam Turbine
Beim SC Sand setzte sich Adrienne Jordan als Außenverteidigerin durch und wechselte daraufhin im Sommer 2022 zum Spitzenteam Turbine Potsdam - zu dem Klub, der sich in den vergangenen Spielzeiten unter den ersten vier Mannschaften der Liga etabliert hatte.
Obwohl Turbine in dieser Saison fünf der ersten sechs Spiele verloren und damit als Tabellenletzter einen kompletten Fehlstart hingelegt hat, bleibt Jordan optimistisch: "Es liegt immer an uns Spielerinnen. Wir sind diejenigen, die auf dem Feld stehen", erklärt sie. "Wir versuchen, unser Bestes zu geben und positiv zu bleiben. Es ist so einfach, niedergeschlagen, negativ und frustriert zu werden."
Dennoch, so Adrienne Jordan, lasse sie sich den Spaß an dem Spiel, das sie liebt, nicht nehmen. Denn jedes Mal, wenn sie das Spielfeld betritt, weiß sie, dass sie nicht nur für sich selbst spielt.
Der Text wurde aus dem Englischen adaptiert.