Justiz stärkt Rechte Homosexueller
19. Februar 2013Ingmar Zöller wird endlich Papa. Noch ist nämlich nur sein Mann Thomas Welter juristisch gesehen der Vater der beiden Kinder, die die Berliner bei sich aufgenommen haben. Denn bislang war es homosexuellen Lebensgemeinschaften in Deutschland nicht möglich, gemeinsam ein Kind zu adoptieren. Lediglich bei einem leiblichen Kind aus einer vorherigen heterosexuellen Beziehung des Partners war eine Adoption durch den Lebensgefährten möglich. Die sogenannte Sukzessiv-Adoption hingegen, bei der einer der Partner schon vorher ein Kind adoptiert hat und der andere später die Elternschaft zusätzlich erlangen will, war nicht erlaubt - anders als bei heterosexuellen Ehepaaren. "Das war wirklich ungerecht", sagte Zöller der Deutschen Welle. "Das Urteil bedeutet nun aber, dass ich endlich offiziell das bin, was ich auch schon vorher war: Der Vater meiner beiden Kinder", so der Volkswirt.
Deutschland hinkt weiter hinterher
Wie Ingmar Zöller und Thomas Welter ging es bisher vielen gleichgeschlechtlichen Paaren. Zwei lesbische Frauen aus Münster waren deshalb vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gezogen. Das höchste deutsche Gericht gab den beiden jetzt Recht. Am Dienstag (19.02.2013) entschieden die Verfassungsrichter, dass das Verbot der Sukzessiv-Adoption gegen das Recht auf Gleichbehandlung verstößt.
"Diese Entscheidung ist wichtig, weil sie ein Signal aussendet, dass gleichgeschlechtliche Partner nicht diskriminiert werden", so die Familienrechtlerin Nina Dethloff von der Universität Bonn im Saarländischen Rundfunk. "Vor allem wird nun anerkannt, dass sie in gleicher Weise gute Eltern sein können, wie Partner verschiedener Geschlechter."
Im europäischen Vergleich hinkt Deutschland weiter hinterher. Die Niederlande, Belgien, Spanien, Großbritannien, Schweden, Norwegen, Dänemark, Island und demnächst wohl auch Frankreich erlauben die gemeinsame Adoption für homosexuelle Lebenspartner. Die Stiefkindadoption, bei der ein Homosexueller das leibliche Kind seines Partners adoptieren darf, ist derzeit in Finnland, der Schweiz und Slowenien möglich.
10.000 Euro Entschädigung
Schwieriger als in Deutschland ist es dagegen für Schwule und Lesben in Österreich. Dort hatten die nationalen Gerichte einer homosexuellen Frau die Adoption des leiblichen Sohns ihrer Partnerin verweigert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied ebenfalls am Dienstag, dass dieses Vorgehen eine Diskriminierung ist. Der österreichische Staat muss dem Paar nun eine Entschädigung von 10.000 Euro zahlen.
Psychologen gehen davon aus, dass ein Leben mit gleichgeschlechtlichen Eltern kein Nachteil für die Entwicklung von Jungen und Mädchen ist. "Kinder können es bei homosexuellen Eltern viel besser haben, als in kaputten Familien mit heterosexuellen Eltern", so die Familientherapeutin Gundula Femmer im DW-Interview. Marion Schwarz, die Vorsitzende des Berufsverbands der Kinder- und Jugendpsychotherapeuten, sagte dem Westdeutschen Rundfunk, eine gute soziale und verlässliche Bindung zwischen Kind und Eltern sei entscheidend: "Da spielt das Geschlecht nur eine sekundäre Rolle."
Der Deutsche Familienverband dagegen äußerte sich bei der Sachverständigenanhörung vor dem Bundesverfassungsgericht kritisch. Die Sukzessiv-Adoption beeinflusse das Kindeswohl negativ. Kinder in gleichgeschlechtlichen Familien würden diskriminiert und stigmatisiert. Das sieht Psychotherapeutin Schwarz anders: "Die Kinder leben sowieso in dieser Lebensgemeinschaft", entgegnet sie. "Warum der Akt der zweiten Adoption eine Stigmatisierung sein soll, ist mir nicht nachvollziehbar und entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage." Therapeutin Femmer gibt ihr Recht: "Ob ein oder zwei Elternteile rechtlich für das Kind verantwortlich sind, ändert nichts an dessen Entwicklung." Dennoch könne es wichtig sein, dass beide Elternteile auch rechtlich für das Kind verantwortlich sind. "Etwa dann, wenn einer der beiden stirbt", sagt Femmer, "denn dann besteht nicht die Gefahr, dass das Kind in ein Heim muss."
16.000 Kinder leben in Regenbogenfamilien
Nach Angaben des Statistischen Bundesamts gab es 2011 in Deutschland 67.000 gleichgeschlechtliche Paare - mit und ohne Trauschein. Laut einer Studie des Bundesjustizministeriums aus dem Jahr 2009 lebten zu diesem Zeitpunkt rund 16.000 Kinder in der Bundesrepublik in sogenannten Regenbogenfamilien. Sie haben also zwei lesbische Mütter oder zwei schwule Väter.
Schon mehrmals hat das Bundesverfassungsgericht die Rechte homosexueller Paare gestärkt - etwa bei der Erbschaftssteuer und beim Familienzuschlag für Beamte. Auch zur Frage des Ehegattensplittings sind mehrere Verfassungsbeschwerden anhängig. Hierüber wollen die Karlsruher Richter noch in diesem Jahr entscheiden.
Ingmar Zöller jedenfalls wird so bald wie möglich auf das Jugendamt gehen und auch offiziell der Vater der Kinder werden, die ihn schon lange als solchen ansehen. "Feiern werde ich aber erst, wenn ich die Urkunde unterschrieben habe", sagt er.