Ölpreis: Nichts mehr ist wie es war
10. Februar 2016Im Februar 2014 notierte das Fass Rohöl noch bei 110 Dollar. Inzwischen müssen nur noch etwa 30 Dollar für das Fass der Sorte Brent bezahlt werden - diese Rohölsorte aus dem Brent-Ölfeld in der Nordsee gilt als Referenz auf den internationalen Rohstoffmärkten.
Die Ära der dreistelligen Ölpreise, die 2011 begonnen hatte, ist offenbar beendet. Im historischen Rückblick erscheinen die letzten Jahre sowieso eher untypisch. Denn die meiste Zeit wurde Öl zu ein- oder zweistelligen Preisen gehandelt: In den 80er oder 90er Jahren des letzten Jahrhunderts war es normal, das Barrel zu etwa 20 Dollar zu verkaufen. 1999 gab es das Fass Brent sogar für weniger als zehn Dollar.
Werden wir bald wieder so niedrige Preise sehen?
Wir wissen zwar noch nicht, wie lange der Ölpreis seinen Fall fortsetzen wird, aber wir können schon jetzt eine Reihe Faktoren identifizieren, die den Ölmarkt tiefgreifend verändert haben.
1. Aufstieg des Ölproduzenten USA
Zwischen 2012 und 2015 haben die USA ihre Förderung von 10 auf 14 Millionen Barrel pro Tag gesteigert und haben sich damit noch vor Russland und Saudi-Arabien an die Spitze der weltgrößten Ölproduzenten gesetzt.
Damit ist eine gigantische Menge zusätzlich auf die Rohstoffmärkte gekommen: Die 4 Millionen Barrel entsprechen der gemeinsamen Förderleistung von Nigeria, Angola und Libyen, drei der größten Ölproduzenten Afrikas.
Moderne Technologien wie das Fracking haben diesen Anstieg möglich gemacht. Durch das Einpressen von Wasser und chemischen Flüssigkeiten in Felsschichten werden bestehende Risse im Gestein erweitert. So kann so genanntes Schiefer-Öl und -Gas gewonnen werden, das bisher durch herkömmliche Techniken nicht gefördert werden könnte. Das Fracking ist zwar relativ teuer, die Investitionen sind aber durch die hohen Ölpreise in den letzten Jahren rentabel geworden.
Nichts verdeutlicht die neue Rolle der USA auf dem weltweiten Ölmarkt besser als der 20. Januar 2016. An diesem Mittwoch erreichte der Tanker "Theo T" den französischen Mittelmeer-Hafen Fos. An Bord befand sich das erste in den USA geförderte Erdöl, das seit Jahrzehnten exportiert wurde. In den 70ern hatte die nordamerikanische Regierung alle Öl-Ausfuhren verboten, um möglichst wenig von Importen abhängig zu sein. Erst im Dezember 2015 wurde das Exportverbot wieder aufgehoben.
Ölexporte aus den USA dürften zwar weiter nur sporadisch vorkommen, da die USA weiterhin einen Großteil des im Land geförderten Öl selbst verbrauchen. Aber das Land hängt nach dem Ausbau seiner Produktion immer weniger von Einfuhren ab.
Und selbst wenn in der nächsten Zeit einige Fracking-Produzenten aufgeben müssen, da die niedrigen Preise ihre Geschäfte unrentabel machen, so hat sich der Ölmarkt durch die Produktionsausweitung in den USA nachhaltig verändert.
2. Produktionsanstieg im Irak
Weltweit blieb kaum beachtet, dass der Irak im vergangenen Jahr das Land mit dem zweitgrößten Produktionswachstum war. Trotz des Bürgerkrieges mit dem Islamischen Staat konnte der Irak seine Fördermenge von 3,3 Millionen Barrel pro Tag im Jahr 2014 bis Ende 2015 auf 4,3 Millionen deutlich ausweiten. Diese Million Barrel an zusätzlichem irakischen Öl entspricht der gesamten Produktion Algeriens, des drittgrößten Produzenten Afrikas.
Der Irak holt inzwischen sogar mehr Öl aus dem Boden als vor Beginn des Krieges mit den USA im Jahr 2003. Hauptsächlich kommt das Öl dabei aus der relativ ruhigen autonomen Kurdenregion im Norden des Landes.
3. Rückkehr des Iran nach dem Embargo
Nach dem Nuklearabkommen zwischen dem Iran und der "5+1-Gruppe" (USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien sowie Deutschland) im Januar wurden einen Großteil der internationalen Sanktionen gegen das Land aufgehoben. Damit bekommt der Iran nun leichteren Zugang zum internationalen Rohölmarkt und dürfte ähnlich wie sein Nachbar Irak deutlich mehr fördern.
Aktuell beträgt die iranische Produktion nach Angaben der OPEC, der Organisation erdölexportierender Länder, etwa 3 Millionen Barrel pro Tag. Die Internationale Energieagentur (IEA) geht von einem Anstieg von etwa 300.000 Barrel bis Ende des Jahres aus. Weitere, "frische" Barrel auf dem Weltmarkt, die neuen Druck auf die Preise ausüben dürften.
4. Tiefseeöl aus Brasilien
Auch Brasilien hat in der jüngeren Vergangenheit seine Förderung deutlich gesteigert. Von 2013 bis 2015 ging die brasilianische Ölproduktion von 2,6 auf 3 Millionen Barrel pro Tag nach oben. Nach Daten der OPEC sind in Brasilien 2015 insgesamt 72 neue Brunnen in Betrieb genommen worden, 2014 waren es sogar 87.
Brasilien hat sich zum Weltmarktführer bei Technologien für ultra-tiefe Vorkommen unter dem Meeresboden entwickelt. Unter Gestein und Salzschichten sind vor der Küste Brasiliens in einer Tiefe von vier bis acht Kilometern große Ölvorkommen entdeckt worden.
Die Aussichten für eine Fortsetzung des brasilianischen Ölwunders sind allerdings nicht sonderlich rosig. Um diese "Offshore"-Vorkommen unter der hohen See zu erschließen, benötigt man extrem teure Investitionen, die sich bei den aktuell niedrigen Preisen in der Regel nicht mehr rentieren dürften. Außerdem ist die halbstaatliche brasilianische Erdölfirma Petrobras in mehrere Korruptionsskandale verwickelt und musste bereits ihre Investitionspläne zurückschrauben.
5. Saudi-Arabien möchte seine Quote halten
In den vergangenen Jahrzehnten spielte Saudi-Arabien das Zünglein an der Waage in punkto Rohölpreis. Das Wüstenland verfügt über riesige, noch nicht ausgebeutete Reserven und über zahlreiche Brunnen, die nicht am Limit arbeiten. So können die Saudis innerhalb kurzer Zeit und zu vergleichsweise niedrigen Produktionskosten die Fördermenge in die Höhe und die Preise in die Tiefe zu fahren. Auf der anderen Seite ist Saudi-Arabien als drittgrößter Produzent weltweit auch in der Lage, das Angebot zu drosseln, um den Preis für das "schwarze Gold" nach oben zu treiben.
Aber selbst angesichts eines saudischen Rekord-Haushaltsdefizits von 89,2 Milliarden Euro im Jahr 2015, das durch den Ölpreisverfall verursacht wurde, sind die Saudis offenbar entschlossen ihre Fördermenge zu halten. Damit nehmen sie tatenlos einen weiteren Preisverfall in Kauf.
Die Saudis wollen vermutlich dafür sorgen, dass sich teure Investitionen in unkonventionelle Quellen wie Fracking und Tiefseeöl nicht lohnen. Ihre Hoffnung: Nachdem die neue, unerwünschte Konkurrenz dem Preiskampf zum Opfer gefallen ist, könnte Saudi-Arabien wieder die alte Schlüsselrolle spielen. Zudem soll der Erzfeind Iran klein gehalten werden.
6. Angst vor China
Bei offiziellen Wachstumsraten von mehr als sechs Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) mutet es merkwürdig an, von einer Krise in China zu sprechen. Doch zahlreiche Investoren fürchten, dass sich hinter den offiziellen Zahlen eine deutlich düstere Realität versteckt. Der Crash an den Börsen Chinas ist Anfang des Jahres weltweit als Warnsignal verstanden worden, dass das chinesische Wirtschaftswunder bald zu Ende sein könnte.
Diese Aussichten sorgen an den internationalen Rohstoffmärkten für viel Nervosität. Schließlich hat das chinesische Wachstum Afrika, Lateinamerika und Australien einen jahrelangen Rohstoffboom beschert.
In den vergangenen zehn Jahren ist der Ölverbrauch Chinas von 7 auf 11 Millionen Barrel pro Tag gestiegen. In der Volksrepublik wird damit inzwischen genauso viel Öl konsumiert wie in ganz Lateinamerika und ganz Subsahara-Afrika zusammen. Kein Wunder, dass jedes neue Indiz für eine Krise in China die Ölpreise weiter zittern lässt.
7. Milder Winter auf der Nordhalbkugel
2015 war nach Berechnungen der US-amerikanischen Wetter- und Ozeanbehörde NOAA das wärmste Jahr seit im 19. Jahrhundert regelmäßige Wetteraufzeichnungen begonnen haben. Aufgrund des Klimaphänomens "El Niño" verspricht 2016 ein weiteres warmes Jahr zu werden.
Der Winter 2015/16 war auf der Nordhalbkugel so mild, dass in den USA, Europa und Japan die Nachfrage nach Heizöl deutlich zurückgegangen ist. Das hat ebenfalls zum freien Fall der Ölpreise beigetragen.
8. Das OPEC-Kartel funktioniert nicht mehr
Die 13 Mitglieder der OPEC – unter ihnen Saudi-Arabien, Irak, Iran, Nigeria und Venezuela – stehen für eine gemeinsame Produktion von 32,3 Millionen Barrel pro Tag. Damit kontrolliert die OPEC etwa ein Drittel der weltweiten Ölförderung von 97 Millionen Barrel.
Theoretisch sollte es der OPEC also ein leichtes sein, die Produktion so zu kürzen, dass die Preise deutlich in die Höhe gehen. Das wäre auch zu erwarten, denn schließlich ist die Organisation als klassisches Kartell gegründet worden, um gemeinsam am Markt hohe Preise zugunsten der Produzenten (und zum Nachteil der Konsumenten) durchzusetzen.
Bis heute aber hat die OPEC die Förderhähne nicht zugedreht. Praktisch alle Mitgliedsstaaten halten die Produktion stabil oder holen sogar mehr Öl aus dem Boden. Offensichtlich gelingt es der OPEC nicht den Preisverfall zu stoppen.
Der Ölminister Venezuelas, Eulogio del Pino, hat sich in den vergangenen Tagen bei einer Besuchsrunde in OPEC-Mitgliedsstaaten und beim Nicht-OPEC-Mitglied Russland dafür stark gemacht, Produktionskürzungen zu vereinbaren. Damit solle ein "gerechter" Preis von etwa 70 Dollar pro Barrel erreicht werden, etwa doppelt so viel wie aktuell. Ein Preisniveau das eine deutliche Entspannung für Venezuelas Wirtschaft und Staatshaushalt bringen dürfte, die ähnlich wie in Nigeria oder Angola durch den Preisverfall vor dem Kollaps stehen.
Doch trotz der dramatischen Wirtschaftslage in Produzentenländern wie Venezuela, Nigeria und Angola, halten Marktbeobachter wie die Internationale Energieagentur (IEA) eine gemeinsame Aktion in den großen Produktionsländern für wenig wahrscheinlich. "Anhaltende Spekulation über einen Deal zwischen der OPEC und führenden Nicht-OPEC-Produzenten scheint genau das zu sein: Spekulation", schrieb die IEA in ihrem am Dienstag (09.02.2016) veröffentlichten Monatsbericht.
Historische Veränderungen
"Wie auch immer die Preisentwicklung aussehen mag, die Märkte werden vermutlich nicht mehr die gleichen sein", analysierte die IEA im Januar. Das sind schlechte Nachrichten für am Erdöltropf hängende Volkswirtschaften wie Venezuela, Nigeria oder Angola.
Sie werden sich anpassen müssen, um einen wirtschaftlichen Kollaps zu vermeiden. Denn zahlreiche Veränderungen, die in den vergangenen Monaten zum Preisverfall auf den Ölmärkten geführt haben, sind dauerhaft.