Abtreibung in Europa: Von Liberalisierung bis Rückschlag
23. Mai 2022Von Irland bis Spanien haben viele europäische Staaten ihre Abtreibungsgesetze überarbeitet und Maßnahmen, die einen sicheren Schwangerschaftsabbruch schwer oder sogar illegal machten, abgeschafft.
"Der Trend in Europa geht ganz klar hin zur Legalisierung von Abtreibung, zur Abschaffung von rechtlichen und politischen Hindernissen", sagt Leah Hoctor vom Center for Reproductive Rights, einer NGO, die sich weltweit unter anderem für das Recht auf Abtreibung einsetzt.
Dennoch ist ein Abbruch nicht für jede Frau möglich. In Malta zum Beispiel ist Abtreibung verboten und in Polen werden derzeit sehr strenge Regeln etabliert.
Und laut Caroline Hickson, Regionaldirektorin beim International Planned Parenthood Federation European Network, schreiben bis auf fünf alle der 52 europäischen Länder, die die Organisation 2021 untersuchte, medizinisch unnötige Maßnahmen vor. Wie zum Beispiel verpflichtete Wartezeiten vor einem Abbruch. Hickson spricht von ganz unterschiedlichen Trends: Einige Länder haben sehr lange bestehende Verbote abgeschafft. Doch vor allem in Osteuropa "gehen die Rückschritte in Sachen Frauenrechte und vor allem ihrer reproduktiven Rechte Hand in Hand mit Rückschritten in Sachen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie".
Spanien: Mehr Freiheiten
In Spanien stimmte der Ministerrat kürzlich einem Gesetzentwurf zu, wonach 16- und 17-Jährige keine elterliche Zustimmung mehr benötigen, um eine Schwangerschaft zu beenden.
Wenn das Gesetz verabschiedet wird, dann fällt damit auch eine dreitägige "Bedenkzeit" vor einer Abtreibung. Zudem würden gesundheitliche Maßnahmen eingeführt, wie etwa garantierte freie Arbeitstage nach einer Abtreibung. Als erstes Land in Europa würde Spanien mit diesem Gesetz auch Menstruationsurlaub für Frauen, die unter starken Beschwerden leiden, einführen.
"All das deutet auf einen Trend in der Region hin, Abtreibungsgesetze wirklich zu verbessern und zu modernisieren", kommentiert Leah Hoctor. "Wir hoffen sehr, dass das Gesetz in Spanien tatsächlich in Kraft tritt."
Doch Ärzte, die keine Abtreibungen durchführen wollen, können sich in ein spezielles Register eintragen lassen. Und diese Möglichkeit, sich als Arzt zu weigern, gebe es auch in vielen anderen europäischen Ländern, sagt Caroline Hickson.
16 oder 17 Jahre mag jung erscheinen für eine Entscheidung zur Abtreibung ohne Zustimmung der Eltern. Doch Hickson findet, dass "junge Frauen Zugang zu einer vertraulichen medizinischen Beratung brauchen", vor allem wenn sie aus schwierigen Familienverhältnissen kämen.
Das neue Gesetz in Spanien hat ihrer Meinung nach viel damit zu tun, dass immer mehr Frauen politisch aktiv wurden und auch, dass ein linkes Bündnis derzeit Spanien regiert. Das Recht auf Abtreibung, erklärt sie, "folgt meist der politischen Stimmung in dem jeweiligen Land".
Polen: Fast vollständiges Verbot
Das sieht man auch in Polen. Im Gegensatz zu den europäischen Ländern, die Abtreibungen in den letzten Jahrzehnten erleichtert haben, hat Polens Verfassungstribunal - dessen Rechtmäßigkeit von der EU infrage gestellt wird - im Januar 2021 ein Gesetz gebilligt, das Abtreibungen beinahe komplett verbietet. Nur wenn die Schwangerschaft das Leben oder die Gesundheit der Mutter bedroht oder in Fällen von Vergewaltigung oder Inzest ist sie noch möglich.
Diese neue Regelung führte zu massiven Protesten, über tausend Frauen demonstrierten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die Menschenrechtskommissarin des Europarates und zahlreiche Menschenrechtsorganisationen kritisieren das Gesetz scharf.
"Polen ist ein Außenseiter in der Europäischen Region und das einzige EU-Mitglied, das die rechtlichen Grundlagen für eine legale Abtreibung in den vergangenen Jahrzehnten abgeschafft hat", sagt Hoctor. "Polen folgt damit nicht dem generellen Trend."
Hoctor und Hickson sind besorgt, weil dieses Verbot auch für die ukrainischen Flüchtlinge in Polen gilt, von denen einige Überlebende sexueller Gewalt sind.
Weibliche Flüchtlinge aus der Ukraine, die die EU-Grenzen nach Polen, der Slowakei oder Ungarn überqueren, "kommen damit in die Gebiete mit den restriktivsten Regeln zu Schwangerschaftsabbrüchen", sagt Hoctor.
Ungarn: Viele verknüpfte Hindernisse
Abtreibungen sind in Ungarn zwar legal, erläutert Leah Hoctor. Aber die Gesetze seien sehr restriktiv. Es gebe eine verpflichtende Wartezeit, vorurteilsbeladene Anforderungen an die Beratung und einer Reihe weiterer Hindernisse, inklusive der Tatsache, dass medizinische Betreuung bei einem Abbruch nicht von der allgemeinen Krankenversicherung gedeckt werde.
Hickson beschreibt Ungarn als eines von einer ganzen Reihe europäischer Länder, mit "vielen miteinander verknüpften Hindernissen für eine Abtreibung, die sie in der Praxis sehr schwierig machen". Und sie fügt hinzu, in Ungarn seien die Einschränkungen für Abreibungen stark verbunden mit dem rechtspopulistischen Premier Viktor Orban.
Irland: Referendum brachte Reformen
Irland hat seine Regelung, die seit 1983 Abtreibung verbot, überarbeitet. In einem Referendum im Jahr 2018 stimmten die Iren mit überwältigender Mehrheit gegen dieses Verbot.
"Es war die Anerkennung durch die irische Bevölkerung und durch den irischen Staat, dass ein Schwangerschaftsabbruch als Teil der allgemeinen Gesundheitsversorgung angesehen werden muss", sagt Hoctor.
"Die Veränderung in Irland war enorm und sehr wichtig, aber es sind in der Gesetzgebung immer noch einige Hürden für Abbrüche enthalten", fügt sie hinzu, aber eine Überprüfung, die derzeit stattfinde, könne die Situation ihrer Meinung nach verbessern.
Betrachtet man die Situation in Europa als Ganzes, vor allem mit Blick auf die jüngsten Einschränkungen des Abtreibungsrechts in den USA, meint Hickson: "Der Fortschritt ist zerbrechlich und wir sollten uns nie zurücklehnen."
Dieser Text wurde von Andrea Lueg aus dem Englischen adaptiert.