Abstand zwischen arm und reich wird größer
5. Dezember 2011Die Kluft zwischen arm und reich, so die am Montag (05.12.2011) veröffentlichte Studie der OECD, ist in Deutschland sogar wesentlich stärker gewachsen als in den meisten anderen Industrienationen der Welt. Während den reichsten zehn Prozent der Deutschen 2008 durchschnittlich 57.300 Euro Netto im Jahr zur Verfügung standen, mussten die ärmsten zehn Prozent mit 7400 Euro auskommen. Reiche hatten also im Schnitt acht Mal so viel Geld wie Arme, Anfang der neunziger Jahre war es nur sechs Mal so viel gewesen.
Mehr Geld nur für die Reichen
Deutschland, das vor der Jahrtausendwende noch zu den ausgeglichensten Gesellschaften der OECD gehörte, rutschte damit ins Mittelfeld ab. Nur Finnland und Schweden verzeichneten innerhalb Europas einen noch größeren Schub in Richtung Ungleichheit.
Für die zunehmende Kluft zwischen arm und reich ist laut der Studie vor allem die Entwicklung der Löhne und Gehälter verantwortlich. Die Spitzeneinkommen sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, die Niedrigeinkommen dagegen stagnierten.
Als weitere Ursache gilt die wachsende Zahl von Teilzeitbeschäftigungen und die Zunahme befristeter Arbeitsverhältnisse. Seit 1984 hat sich der Anteil der Teilzeitbeschäftigten in Deutschland von elf auf 22 Prozent verdoppelt. Inzwischen arbeiten rund acht Millionen Menschen in Teilzeit. Besonders im Niedriglohnbereich können Teilzeitbeschäftigte häufig nicht von ihrem Einkommen leben und müssen auf staatliche Unterstützung zurückgreifen.
Trotzdem sei die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes wichtig gewesen, sagt OECD-Arbeitsmarktexperte Michael Förster. Jetzt müssten aber weitere Inititativen zur Schaffung von Arbeitsverhältnissen mit Perspektiven und Aufstiegschancen folgen. Der Großteil der Arbeitsmarktreformen war noch von der rot-grünen Bundesregierung unter dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder umgesetzt worden.
Umverteilung begrenzt Ungleichheit
Ohne staatliche Umverteilung wäre die soziale Ungleichheit in Deutschland sogar noch wesentlich stärker. Das deutsche System von Steuern und Transferzahlungen, so die OECD, reduzierte die Unterschiede zwischen arm und reich 2008 um 28 Prozent, im Jahr 2000 waren es noch 33 Prozent gewesen. Vor allem die Langzeitarbeitslosen litten unter der Einschränkung staatlicher Leistungen. Sie bekommen durch die sogenannten Hartz IV-Reformen heute deutlich weniger Unterstützung vom Staat.
"Zunehmende Ungleichheit schwächt die Wirtschaftskraft eines Landes, sie gefährdet den sozialen Zusammenhalt und schafft politische Instabilität - aber sie ist nicht unausweichlich", sagte OECD-Generalsekretär Angel Gurría bei der Vorstellung der Studie in Paris.
Jobs, Jobs, Jobs - das empfiehlt die OECD als Mittel gegen die wachsende Einkommensschere. Und zwar hochwertige und gutbezahlte Jobs. Dazu müsse mehr in das sogenannte Humankapital, also in die Ausbildung der Menschen, investiert werden. Das müsse, so schreiben die OECD-Experten, schon in der Kindheit beginnen.
Und wer soll das bezahlen? Die Reichen könnten zumindest ihren Teil dazu beitragen, empfiehlt die OECD. Denn wer mehr verdiene, der könne auch mehr Steuern zahlen.
Im internationalen Vergleich steht Deutschland übrigens immer noch relativ gut da. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel verdienen die Reichsten zehn Prozent 14-mal so viel wie die ärmsten zehn Prozent. In Italien, Japan und Großbritannien liegt das Verhältnis bei zehn zu eins.
Extreme Ungleichheit in Entwicklungsländern
Noch extremer ist die Einkommensverteilung in den Entwicklungsländern. Das gilt auch für aufstrebende Staaten wie Chile oder Brasilien. In Chile liegt das Verhältnis bei 25 zu 1, in Brasilien sogar bei 50 zu 1. Und das obwohl sich gerade in Brasilien in den vergangenen Jahren die Lebensverhältnisse der Armen deutlich verbessert haben.
Die Studie zeige, sagte OECD-Generalsekretär Gurría, dass wirtschaftliches Wachstum nicht automatisch zu einem Abbau der Ungleicheit führe. "Ohne eine umfassende Strategie für ein nachhaltiges und integratives Wachstum," betonte Gurría, "wird sich die soziale Ungleichheit weiter vergrößern."
Autor: Nils Naumann
Redaktion: Klaus Jansen