Abgrund von Kälte und Ignoranz
5. Januar 2013"Ich kann nicht in Worte fassen, wie brutal der Angriff war", sagte der Mann einem indischen TV-Sender. "Selbst Tiere verhalten sich nicht so." Am Abend des 16. Dezembers war die 23-jährige Studentin in einem Minibus in der Hauptstadt Neu-Delhi misshandelt worden. Ihr Begleiter wurde verprügelt und aus dem fahrenden Bus geworfen. Die Tortur soll sich über zweieinhalb Stunden hingezogen haben. Zwei Wochen nach der Tat erlag die junge Frau in einem Krankenhaus in Singapur ihren schweren inneren Verletzungen.
Eigentlich hätten er und seine Freundin an jenem Abend nach einem Kinobesuch lieber mit einer Autorikscha nach Hause fahren wollen, sagte der Freund des Opfers dem Fernsehsender "Zee News". Als es ein Fahrer jedoch abgelehnt habe, sie mitzunehmen, seien sie in einen mit sechs Männern besetzten Bus gestiegen. Nach einer Weile hätten diese angefangen, sie zu belästigen und anzugreifen.
Polizisten streiten über Zuständigkeiten
"Ich habe mich mit drei von denen geprügelt", schilderte der junge Mann, der während des Interviews mit einem gebrochenen Bein im Rollstuhl saß. "Ich schlug hart zu. Aber dann haben mich zwei andere mit einer Eisenstange traktiert." Seine Freundin habe versucht, mit dem Handy die Polizei zu alarmieren, aber die Männer hätten es ihr weggenommen, sagte er. Dann hätten sie die Frau zu den Rücksitzen im Bus gezerrt und vergewaltigt. Nach der Tortur hätten einige der Angreifer schließlich davon gesprochen, dass sie tot sei.
Als sie - nackt und blutend - aus dem Bus geworfen worden seien, habe er bei vorbeifahrenden Rikscha- und Autofahrern um Hilfe gewunken. Doch vergeblich: "Sie verlangsamten ihr Tempo, schauten auf unsere nackten Körper und fuhren weg. Nach rund 20 Minuten seien drei Polizeiwagen eingetroffen. Allerdings hätten die Beamten zunächst darüber gestritten, wer für die Klärung des Verbrechens zuständig sei.
Anstatt medizinisch versorgt zu werden, habe er dann vier Tage auf einer Polizeistation verbracht, um bei den Ermittlungen zu helfen. Er habe seine mit dem Tod ringende Freundin im Krankenhaus besucht, ihr erzählt, dass die Angreifer festgenommen worden seien und ihr geschworen, für sie zu kämpfen. "Sie hat uns alle durch ihren Mut aufgeweckt", erklärte ihr Freund. "Die Menschen sollten - in Erinnerung an seine Freundin - gemeinsam dafür kämpfen, dass ein solches Verbrechen nie wieder passiert."
Das Interview könnte "Zee News" übrigens teuer zu stehen kommen. Kurz nachdem das erschütternde Gespräch ausgestrahlt wurde, kündigte die Polizei Ermittlungen gegen den TV-Sender an. Zwar hielt dieser sich an das Gebot, den Namen der beiden Opfer nicht zu nennen. Allerdings war das Gesicht des Mannes zu sehen. In Indien verbietet das Gesetz in Vergewaltigungsfällen die Identifizierung von Betroffenen. Auf Verstöße stehen neben Geldstrafen bis zu zwei Jahre Haft.
Indien will Gewalt entschlossener bekämpfen
Vor der für diesen Samstag geplanten Anhörung im Prozess gegen die mutmaßlichen Peiniger kündigte der indische Innenminister Sushilkumar Shinde eine harte Gangart gegen die grassierende Gewalt gegen Frauen im Land an. Überdies solle das gesamte Justiz- und Polizeisystem nach dem jüngsten Vergewaltigungsskandal auf den Prüfstand gestellt werden. Die Verfolgung von Missbrauchsfällen dürfe nicht länger verschleppt werden, sagte Shinde auf einer Konferenz indischer Regierungsvertreter zum besseren Schutz von Frauenrechten.
Unterdessen schmetterte das Oberste Gericht des Landes eine Petition ab, nach der Abgeordnete des nationalen Parlaments ebenso wie Volksvertreter in den einzelnen Bundesstaaten suspendiert werden sollten, wenn gegen sie wegen Verbrechen an Frauen ermittelt wird. Begründet wurde dies laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Press "Trust of India" mit fehlenden Befugnissen. Allerdings zeigte sich das Gericht offen für die Einrichtung weiterer Schnellgerichte zur Untersuchung von Vergewaltigungsvorwürfen.
Am Donnerstag war vor dem ersten Schnellgericht dieser Art Anklage gegen fünf mutmaßliche Peiniger der vergewaltigten Studentin erhoben worden. Ihnen droht nun die Todesstrafe. Ein sechster Verdächtiger ist noch minderjährig und dürfte deshalb vor einem Jugendgericht landen.
sti/qu (afp, dapd, dpa)