Neue "Diät" für Abgeordnete?
3. April 2013Auf den ersten Blick las es sich wie eine Einladung zur ungenierten Selbstbedienung: Die Abgeordneten des Bundestages sollten die Höhe ihrer Diäten - also ihrer Gehälter - selbst beschließen, bestimmte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1975. Aber im gleichen Satz verlangten die Verfassungsrichter, dass diese Festsetzung "vor den Augen der Öffentlichkeit" geschehe. Die Volksvertreter sind seitdem in der Zwickmühle: Wie oft und wie üppig sollen sie sich auf der offenen Bühne des Parlaments ihre Bezüge erhöhen, ohne dass es zu unverschämt wirkt?
Die peinliche Situation hat dazu geführt, dass der Griff in die Staatskasse bisher weniger tief ausfiel, als formal möglich wäre. Denn im so genannten Abgeordnetengesetz ist als eine Orientierungsgröße das Gehalt eines Richters bei einem obersten Gerichtshof des Bundes vorgegeben. Das liegt derzeit bei 8520 Euro, die Abgeordnetendiät dagegen bei "nur" 8252 Euro.
Keine peinlichen Diäten-Debatten mehr?
Diese Lücke soll nun geschlossen werden, schlägt eine vom Ältestenrat des Bundestages eingesetzte Expertenkommission vor. Das Grundgehalt eines obersten Bundesrichters soll die "angemessene Ausgangsgröße für die Abgeordnetenentschädigung sein". Doch nicht nur das: Künftig soll es den Bundestagsabgeordneten auch erspart bleiben, nach mehr oder minder peinlichen Plenumsdebatten ihre eigenen Diätenerhöhungen zu beschließen, um am nächsten Tag doch wieder die üblichen hämischen Kommentare in den Zeitungen zu lesen. Nach dem jüngsten Vorschlag der vom früheren Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) geleiteten Expertenkommission aus Juristen, Wissenschaftlern, Managern, Gewerkschaftern und pensionierten Politikern soll das Grundgehalt der Parlamentarier jährlich am 1. Juli der Verdienstentwicklung aller Arbeitnehmer angepasst werden.
Die Mehrheit der Abgeordneten dürfte, sollte es dazu kommen, erleichtert sein, meint der SPD-Abgeordnete Florian Pronold: "Wenn man die Frage der Diäten so klären will, dass die Menschen da nicht immer sauer sind, dann ist es ganz gut, dass man das an einen Index koppelt und sagt, so viel wie sich die Löhne erhöhen, erhöhen sich auch die Diäten." Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) möchte dies am liebsten noch in der zu Ende gehenden Wahlperiode umsetzen. Ob den Parlamentariern aber ein solcher Kraftakt mitten im Wahlkampf gelingt, ist äußerst fraglich.
Viele Erhöhungen in kurzer Zeit
Noch unwahrscheinlicher ist es, dass der Vorschlag der "unabhängigen Experten" tatsächlich das brisante Thema "Abgeordnetendiäten" entschärfen könnte. Im Gegenteil: Die Anpassung an die Richtergehälter würde zunächst einmal bedeuten, dass die rund 600 Volksvertreter schon zum dritten Mal in kurzer Zeit mehr Geld bekämen. Schon Anfang 2012 und Anfang 2013 erhöhten sich die Bezüge um jeweils rund 300 Euro.
Das kommt besonders in Wahlkampfzeiten nicht gut an beim Volk und in den Medien. Im Bundestag signalisieren bereits einzelne Abgeordnete der Linksfraktion, die schon bisher geschlossen gegen jede Diätenerhöhung gestimmt hat, dass sie Probleme mit dem Expertenvorschlag haben. "Die Lohnspirale nach unten wurde so heftig in Gang gesetzt, dass eigentlich die meisten Menschen ihren Standard kaum halten können, während wir als Abgeordnete unseren Standard praktisch dann im Gegenzug erhöhen", meinte die Linken-Abgeordnete Karin Binder: "Das halte ich nicht für gerechtfertigt." Binder spendet wie sämtliche 75 Linken-Abgeordnete im Bundestag seit Anfang 2009 demonstrativ jede Diätenerhöhung für soziale Projekte.
Reform bleibt "hinter Ansprüchen der Gesellschaft zurück"
Gemessen an den Erwartungen der Öffentlichkeit bleibt der Expertenvorschlag für viele eine Enttäuschung. Weder die Beschneidung der üppigen Altersversorgung noch die größere Transparenz von steuerfreien Aufwandspauschalen sind vorgesehen. Anstatt die kostspielig und vollständig aus Steuergeldern finanzierte Pension auf ein privates Vorsorgemodell umzustellen, würden lediglich alte Strukturen zementiert, kritisiert beispielsweise der Bund der Steuerzahler. Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, verlangte, alle Nebentätigkeiten der Abgeordneten müssten auf Euro und Cent offengelegt werden.
Der SPD-Abgeordnete Florian Pronold praktiziert das bereits als so genannter "gläserner Abgeordneter" auf seiner Internetseite und meint: "Ich sehe überhaupt kein Problem darin, Nebentätigkeiten komplett offenzulegen. Aber da bleibt der Kommissionsbericht weit hinter den Ansprüchen in der Gesellschaft zurück."
Nebentätigkeiten sind das Problem
Schwerpunkt der Arbeit eines Abgeordneten müsse sein Mandat sein, betont Pronold gegenüber der DW, und nur bei einer Offenlegung der Nebentätigkeiten könne sich der Wähler ein Bild davon machen, wie engagiert sein Abgeordneter dabei sei.
Auch Fachleute wie Andreas Peichl vom Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) glauben, dass nicht die Diäten das größte Problem sind, sondern die Nebeneinkünfte. Peichl erinnert an eine Studie, in der er mit zwei Kollegen untersucht hat, was die deutschen Volksvertreter so nebenbei verdienen: "In unseren Daten hatten wir beispielsweise eine Abgeordnete, die neben ihrem Bundestagsmandat noch mehr als 150 Rechtsanwaltsmandate pro Jahr hatte. Und da stellt sich natürlich die Frage, inwieweit sie ihre Aufgaben in Berlin noch wahrnehmen kann."
Zwar hat der Bundestag vor wenigen Wochen beschlossen, dass die Höhe von Nebeneinkünften in abstrakter Form und in einem komplizierten Stufenmodell dargestellt werden muss. Doch eine weitergehende Offenlegung scheut man, unter anderem, weil Abgeordnete dann Wettbewerbsnachteile gegenüber der Konkurrenz in ihren jeweiligen Berufen fürchten. Zuviel Transparenz würde wie eine Zugangssperre für Unternehmer, Freiberufler und Selbständige zum Parlament wirken, heißt es.