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Abe in Berlin: Wirtschaft im Mittelpunkt

Sabine Kinkartz30. April 2014

Ein Mittagessen im Kanzleramt, roter Teppich beim Bundespräsidenten: Politik spielte beim Besuch des japanischen Ministerpräsidenten in Berlin eine große Rolle. Doch vor allem ging es um die Wirtschaft.

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Deutschland Japan Nationalflaggen
Bild: picture-alliance/dpa

Ob es Zufall war oder schlicht dem politischen Terminkalender aller Beteiligten geschuldet, bleibt im Dunkeln: Der erste Weg auf seinem Deutschlandbesuch führte den japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe am Mittwochmorgen (30.04.2014) jedenfalls nicht in die politische Mitte Berlins, sondern zum Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Dort war Zeit für Gespräche, aber auch für eine kurze Rede auf einem deutsch-japanischen Wirtschaftsforum eingeplant.

Der Gast aus dem fernen Osten ist nicht alleine angereist. In der großen Delegation, die Abe auf seiner zehntägigen Europa-Tour begleitet, befinden sich zahlreiche japanische Unternehmer. Japan ist Deutschlands zweitwichtigster Handelspartner in Asien und Deutschland ist Japans wichtigster Handelspartner in der EU. Im vergangenen Jahr lag das gesamte Handelsvolumen bei etwa 37 Milliarden Euro. Beide Länder haben zusammen 15 Milliarden Euro im jeweils anderen Land direkt investiert.

Nach Ansicht des japanischen Regierungschefs ist da noch viel Luft nach oben. In Berlin warb er für ein weiteres Engagement der deutschen Wirtschaft. "Ihre Investitionen sind in Japan herzlich willkommen", sagte Abe. "Japan misst der wirtschaftlichen Partnerschaft mit Europa große Bedeutung bei." Eines seiner Ziele sei, den Bestand an ausländischen Direktinvestitionen in seinem Land bis 2020 zu verdoppeln.

Abe bei Merkel 30.04.2014 Berlin. Foto: REUTERS/Tobias Schwarz.
Bild: Reuters

Die Hürden sind noch hoch

Das Bundeswirtschaftsministerium sieht für deutsche Mittelständler in Japan große Chancen bei Elektronik, Automobilbau, Medizintechnik, Biotechnologie sowie Energie- und Umwelttechnik. Noch liegen die Hürden für einen Marktzugang jedoch sehr hoch. Seit mehr als einem Jahr verhandeln die EU und Japan über ein Freihandelsabkommen. Die Märkte sollen für Güter, Dienstleistungen und Beschaffungen weiter geöffnet werden, Handelsbarrieren sollen abgebaut werden.

Wo die liegen, weiß Matthias Wissmann, BDI-Vizepräsident und Präsident des Verbands der Automobilindustrie, nur zu genau. Gerne würden sich deutsche Automobilbauer den japanischen Markt weiter erschließen. Während internationale Importmarken in Deutschland einen Anteil von 30 Prozent haben, liegt er in Japan bei gerade einmal sechs Prozent. "Immerhin fährt mein Bruder einen BMW", scherzte Shinzo Abe in seiner Rede auf dem BDI-Wirtschaftsforum.

An Zöllen kann das nicht liegen, dass in Japan so wenige ausländische Autos gefahren werden, denn auf die Einfuhr von Automobilen werden keine Zölle erhoben. "Es liegt sicherlich zum einen an den Präferenzen der japanischen Konsumenten", analysiert Wissmann, "aber auch an Hemmnissen wie zum Beispiel technischen Anforderungen." Vor diesem Hintergrund gebe es, zumindest in der europäischen Automobilindustrie, Sorgen und Fragen. "Werden die Japaner künftig offener sein gegenüber unseren Autos? Werden sie die nichttarifären Handelshemmnisse tatsächlich abbauen?"

Japan will wieder stark werden

Auch in anderen Branchen, etwa im Pharma- oder Chemiebereich gebe es solche Barrieren gegenüber einem freien Marktzugang. Wissmann forderte Abe zu gemeinsamen Anstrengungen auf, um bald zu einem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zu kommen. "Ein Abkommen unter Freunden erfordert auch Fortschritte in besonders sensiblen Punkten", mahnte er.

Obwohl Japan 2008 hart von der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise und im März 2011 von einem verheerenden Erdbeben mit anschließendem Tsunamie und Nuklearunfall getroffen wurde, ist das Land nach den USA und China weiterhin die weltweit drittgrößte Volkswirtschaft. Damit das so bleibt, fährt der japanische Regierungschef eine äußerst umstrittene Wirtschaftspolitik.

Die nach ihm mit 'Abenomics' benannte Reformstrategie gründet auf einer lockeren Geldpolitik und massiven Konjunkturprogrammen. Wachstum und Löhne würden wieder anziehen, sagte Abe in Berlin, womit sein Land an Stärke gewinne. Vor allem aber sei Japan "im Begriff, sich aus der langandauernden Deflation zu befreien". Abe steht auf dem Standpunkt, dass es ohne eine Wiederbelebung der Wirtschaft nicht möglich sein wird, den mit 250 Prozent der Wirtschaftskraft überschuldeten Staatshaushalt zu sanieren.

Ein Industriemechaniker arbeitet an einem CO2-Laser beim Maschinenbauer Trumpf. Foto: Daniel Bockwoldt/dpa
Bild: picture-alliance/dpa

Deutschland und Japan haben viel gemeinsam

Wirtschaftlich steht Japan vor ähnlichen Herausforderungen wie Deutschland. Das unterstrich auf dem Wirtschaftsforum auch Wirtschaftsstaatssekretär Uwe Beckmeyer. "Wie können wir es angesichts einer immer älter werdenden Gesellschaft sicherstellen, dass es ausreichend gut ausgebildete Fachkräfte gibt? Wie kann es gelingen, dass auch kleinere und mittlere Unternehmen auf den Weltmärkten Fuß fassen?"

Wie in Deutschland, so bildet auch in Japan der sogenannte Mittelstand das Rückgrat der Wirtschaft. In der Bundesrepublik erwirtschaften kleine und mittelständische Unternehmen 55 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, in Japan sind es 53 Prozent. Gerade im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen würde eine verstärkte Zusammenarbeit Chancen bieten, so Beckmeyer. Er wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Bundeswirtschaftsministerium den Mittelstand mit Innovationsprogrammen fördere. Dazu gehöre auch die Unterstützung für eine deutsche Beteiligung an internationalen Projekten zur Forschung und Entwicklung.

Streben nach Spitzentechnologie

Nicola Leibinger-Kammüller, Chefin des Werkzeugmaschinenbauers Trumpf, kann das nur unterstützen. Gerade im Bereich der technologischen Innovationen müssten deutsche und japanische Unternehmen den Schulterschluss suchen, sagt sie. Trumpf macht bereits seit Mitte der sechziger Jahre Geschäfte in Japan, seit 1989 gibt es eine eigenständige Produktion vor Ort. Sowohl in Japan als auch in Deutschland werde der gleiche Geist gelebt, sagt Leibinger-Kammüller: "Streben nach Spitzentechnologie und der unbedingte Wille zur Qualität".

Das unterscheide deutsche und japanische Unternehmen von China. Dort gebe es zwar auch Kunden, die das "High-End-Produkt" suchten, in der breiten Masse herrsche jedoch eine "good-enough-Mentalität" vor. Chinesen wollten in der breiten Masse exakt das Produkt, das so gerade ihre Bedürfnisse erfülle. "Wegen der Größe und der Dynamik des chinesischen Marktes stellt uns das vor gewaltige Herausforderungen", warnt Leibinger-Kammüller. China sei bereits heute die Nummer eins der Welt im Werkzeugmaschinenbau. Andere Branchen würden folgen.

Gemeinsam gegen das Mittelmaß

Wie dem begegnen, diese Frage stelle sich deutschen wie japanischen Unternehmen? "Reicht es, unsere Position an der Spitze der Pyramide zu verteidigen, oder müssen wir uns darauf gefasst machen, dass in den unteren Segmenten soviel Dynamik entsteht, dass wir eines Tages hinweggeschwemmt werden?"

Deutsche wie japanische Unternehmen stünden vor der Herausforderung, nicht nur ihre technologische Spitzenstellung zu halten, sondern auch bei Zukunftstrends, bei neuen Geschäftsfeldern die Spielregeln zu bestimmen. "Wer in der Industrie 4.0 die Standards setzt, wer die Patente hält, wer die Normung prägt, der wird auch den Markt bestimmen." In Zukunft sei das aber nur noch im Schulterschluss möglich. Für deutsche und japanische Unternehmen hält die Trumpf-Chefin daher eine klare Botschaft bereit: "Wir tun gut daran, uns gegenseitig zu unterstützen, voneinander zu lernen und unsere Gemeinsamkeiten stärker in den Blick zu nehmen, als die Tatsache, dass wir in manchen Bereichen Wettbewerber sind."