Abdeslam schweigt vor Gericht
20. Mai 2016Der mutmaßliche Paris-Attentäter Salah Abdeslam hat bei seiner ersten ausführlichen Befragung durch die Justiz in der französischen Hauptstadt geschwiegen. "Er wollte sich heute nicht äußern", sagte einer seiner Anwälte, Frank Berton, in Paris. "Er wird es später tun." Zuvor hatte der Verteidiger angekündigt, dass sein Mandant gegenüber den französischen Ermittlern aussagen wolle. Diese erhoffen sich von dem 26-Jährigen wichtige Hinweise zu möglichen weiteren Anschlagsplänen in Frankreich und Details zu den Pariser Attentaten vom 13. November.
Die Staatsanwaltschaft erklärte dagegen, Abdeslam habe ohne Begründung von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. "Er weigerte sich zudem, die Äußerungen zu bestätigen, die er zuvor vor Polizisten und vor den belgischen Ermittlungrsrichtern gemacht hat." Abdeslam habe nicht gesagt, ob er später aussagen werde.
Abdeslam wurde am frühen Freitagmorgen in einem Konvoi aus Polizeifahrzeugen von seinem Gefängnis südlich von Paris zu seiner Vernehmung im Justizpalast der französischen Hauptstadt gebracht. Ein Hubschrauber überwachte den Transport aus der Luft.
Haftbedingungen bemängelt
Der Anwalt kritisierte die Haftbedingungen seines Mandanten, der im Gefängnis von Fleury-Mérogis in Isolationshaft sitzt und unter permanenter Videoüberwachung steht. "Er fühlt sich rund um die Uhr beobachtet, das sind keine guten Bedingungen." Berton kündigte eine Beschwerde beim Justizministerium an.
Der 26-jährige Franzose Salah Abdeslam muss sich als mutmaßlicher Mittäter beim schlimmsten Terror-Anschlag in der Geschichte Frankreichs verantworten. Bei der Terror-Attacke am 13. November 2015 wurden 130 Menschen getötet. Abdeslam soll etliche der Täter mit einem Mietwagen zu ihren Anschlagsorten gefahren haben. Er soll nach bisherigen Ermittlungen als Logistiker geholfen haben. Salah Abdeslam könnte nun auch als wichtiger Informant zur Aufklärung des Verbrechens beitragen, wenn er weitere Angaben zu Hintermännern der Tat liefern würde.
Salah Abdeslam hat die französische Staatsbürgerschaft und stammt aus einer Familie mit marokkanischen Wurzeln. Aufgewachsen ist er im Brüsseler Stadtteil Molenbeek, der als Hochburg für Islamisten gilt. Sein Bruder Ibrahim gehörte zu den Attentätern von Paris. Er hatte sich vor einem Café in die Luft gesprengt und dabei einen Passanten mit in den Tod gerissen.
Auch Salah Abdeslam sollte ein Selbstmordattentat begehen. Doch er entschied sich in letzter Minute um und warf seinen Sprengstoffgürtel noch in Paris in eine Mülltonne. Als dieser Sprengstoffgürtel dort später gefunden wurde, brachten Abdeslams Fingerabdrücke daran die Polizei auf seine Spur.
"Intelligenz eines leeren Aschenbechers"
Was man bisher über das Leben Abdeslams weiß, lässt über lange Zeit keine Radikalisierung erkennen, sehr wohl aber ein ständiges soziales Abrutschen. Seinen Job als Mechaniker bei den Brüsseler Verkehrsbetrieben verlor er wegen häufiger Fehlzeiten. Er fiel auf, weil er Drogen nahm und Einbrüche verübte. Von der belgischen Polizei befragte Personen in seinem Umfeld beschreiben den jungen Mann als eher unauffällig, höflich und nicht aggressiv. Interessen: Autos und Fußball.
Salah Abdeslam wird von seinem belgischen Anwalt Sven Mary als "einfaches Gemüt" beschrieben. Gegenüber der französischen Zeitung "Liberation" wird Mary noch deutlicher. Abdeslam zeige in seinen Äußerungen eine "abgrundtiefe Leere" und "die Intelligenz eines leeren Aschenbechers".
Damit wollte der Anwalt offenbar deutlich machen, dass Salah nicht in der Lage sei, generalstabsmäßig Morde zu planen. Ziel dieser Aussage: mildernde Umstände. Das Advokatenurteil über den mutmaßlichen Terroristen half schließlich auf besondere Weise bei dessen Verhaftung.
Peinliche Fahndungsfehler
Dass Abdeslam überhaupt lebend gefasst werden konnte, bezeichnete der französische Innenminister Bernard Cazeneuve als "Sieg über den Terrorismus in Europa". Nach vielen, unglaublichen Fahndungspannen gleicht die Festnahme fast einem Wunder.
Nach den bisherigen Erkenntnissen belgischer Ermittlungsbehörden war Abdeslam noch in der Nacht der Anschläge geflohen. Er hatte zwei Freunde in Belgien angerufen und diese aufgefordert, ihn schnell von Paris nach Brüssel zu fahren, was auch gelang.
Auf der Flucht wurden Abdeslam und seine Fahrer dreimal von der Polizei kontrolliert. Bei einer Überprüfung gaben seine Mitfahrer auf die Frage nach Drogenkonsum sogar zu, einen Joint geraucht zu haben. Alles schien aufzufliegen. Doch die Polizei prüfte nur die Personalausweise und erhielt sogar von Abdeslam die Wohnadresse in Molenbeek. Weiter geschah nichts.
Erst am 18. März 2016 ging er den Fahndern ins Netz. In der Vierwindenstraat, nur wenige hundert Meter von seinem Elternhaus im Brüsseler Stadtteil Molenbeek entfernt, wurde Abdeslam von der Polizei verhaftet. Zuvor hatte er telefonisch Pizza bestellt. Auffällig war die große Menge und die Wohnung, in der offiziell nur eine Frau registriert war. Nach der abgehörten verdächtigen Pizza-Bestellung griff die Polizei zu. Nach einem kurzen Schusswechsel wurde Abdeslam überwältigt.
"Wir haben ihn." Mit dieser kurzen Twitter-Nachricht meldete der belgische Staatssekretär für Asyl und Immigration, Theo Franken, stolz die Verhaftung Abdeslams am 18. März 2016. Schon Tage zuvor war die Fahndung und Überwachung zu Mittätern der Anschläge von Paris durch Interpol verstärkt und engmaschig organisiert worden.
Bei der Verhaftung fiel Abdeslam ein Notizzettel aus einem Hosenbein. Was stand darauf? Hinweise auf weitere Anschlagspläne? Eine Liste von weiteren Terroristen in Europa? Die Öffentlichkeit erfuhr es bis jetzt nicht. Abdeslam verbleibt zunächst in Haft im belgischen Brügge. Schließlich lieferte der belgische Staat ihn Ende April nach Frankreich aus. Dort findet jetzt die erste Anhörung des mutmaßlichen Terroristen statt. Präsident Francois Hollande hatte sich persönlich dafür stark gemacht.
Abdeslams Netzwerk
In einem Hochsicherheitsgefängnis in der Nähe von Paris wird die Isolationshaft Abdeslams unter strenger Bewachung kurz unterbrochen, um vor allem zu klären, wie groß das Netzwerk von IS-Unterstützern in Europa ist. Nach den bisherigen Erkenntnissen des belgischen Chefermittlers Frederic Van Leeuw plante Abdeslam noch weitere Anschläge in Belgien. Dies hatte der 26-Jährige IS-Anhänger auch in einer ersten Befragung zugegeben. Die in seiner Wohnung gefundenen schweren Waffen deuteten schon darauf hin.
Zu klären gilt es jetzt bei der Anhörung in Paris, welchen Hintergrund Abdeslams mehrfache kurze Autoreisen nach Budapest (Ungarn) und Ulm (Deutschland) hatten. Die Aufenthalte dort sollen nach Ermittlungen von Interpol nur rund 40 Minuten gedauert haben.
In Ulm soll Abdeslam drei Männer aus einer Flüchtlingsunterkunft abgeholt und nach Brüssel gebracht haben. Dies bestätigte die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Ermittler in Frankreich und nicht zuletzt die vielen Angehörigen der Opfer hoffen auf klärende Aussagen des Angeklagten.