Gustl Mollath kommt frei
7. August 2013Gustl Mollath hasste sein Leben in der Psychiatrie. Lieber wäre er in einem "ordentlichen Gefängnis", sagte er. Er hasste die nächtlichen Kontrollen, die ihm den Schlaf raubten. Er hasste das Essen, sprach von "Körperverletzung". Sieben Jahre war Mollath in der Psychiatrie, zuletzt im Landeskrankenhaus Bayreuth. Jedes Jahr prüfte ein Gericht, ob seine Unterbringung noch nötig war. Bisher lautete die Antwort jedes Mal: ja. Bis jetzt. Das Oberlandesgericht Nürnberg verfügte am Dienstag (06.08.2013) seine sofortige Freilassung.
Viele Menschen sehen den 56-jährigen Mollath als Opfer der Justiz oder sogar als Opfer einer noch mächtigeren Verschwörung, weil der frühere Oldtimer-Restaurator einen Schwarzgeldskandal aufdecken wollte. Im Internet gibt es einen gewaltigen Hype um den Fall. Die Leute bloggen und kommentieren. Die Petition "Gerechtigkeit und Freiheit für Gustl Mollath" hatten Zehntausende Menschen im Netz unterzeichnet.
Ehepaar Mollath im Scheidungskrieg
Man muss weit zurückgehen, um den Fall Mollath verstehen zu können: 2006 sieht es das Landgericht Nürnberg als erwiesen an, dass Mollath seine inzwischen von ihm geschiedene Ehefrau schwer misshandelt hat. Außerdem soll er die Autoreifen verschiedener Personen zerstochen haben, die sich im Scheidungskrieg des Ehepaars auf die Seite seiner Frau geschlagen hatten. Weil ein Nervenarzt ihm damals paranoide Wahnvorstellungen attestiert, gilt er als schuldunfähig, aber als gefährlich. Mollath kommt in die Psychiatrie. Als Beweis für einen gefährlichen Wahn Mollaths führt das Gericht an, dass dieser fast alle Personen aus seinem Umfeld "völlig undifferenziert" in einen Schwarzgeldskandal verstrickt sähe.
Das Thema Schwarzgeld - und der Umgang der Justiz damit - macht die besondere Brisanz des Falles Mollath aus. Während des gesamten Gerichtsverfahrens hatte Gustl Mollath auf dubiose Geldgeschäfte hingewiesen, in die auch seine geschiedene Frau verwickelt sei. Darüber hatte er bereits in mehreren Briefen die "HypoVereinsbank" informiert, bei der Petra Mollath arbeitet. Während seines Gerichtsprozesses legt Mollath dann eine 106-seitige Verteidigungsschrift vor: einen Schnellhefter voller wirrer Ausführungen über den Putsch des ugandischen Diktators Idi Amin, die Mondlandung, den Krebstod seines Vaters. Dazwischen verborgen sind jedoch konkrete Anschuldigungen: Angestellte der "HypoVereinsbank" sollen illegal Geld in die Schweiz transferiert haben. Später erstattet er Anzeige.
Während die "HypoVereinsbank" ihre Revisoren auf die Vorwürfe ansetzt, bleibt die Justiz untätig. Der Richter liest Mollaths Schnellhefter nicht einmal durch, laut Zeugen verbietet er ihm sogar den Mund, wenn dieser über das Schwarzgeldthema sprechen will. Die Staatsanwaltschaft wiederum ermittelt nicht: Zu unkonkret sei Mollaths Anzeige gewesen - ohne Kontonummern, Beträge, Handlungsabläufe. Für den Journalisten Uwe Ritzer steht dagegen fest: "Sie ist so präzise, dass man hätte ermitteln können, wenn man gewollt hätte." Schließlich könne die Aufdeckung eines Schwarzgeldskandals nicht Sache von Privatpersonen sein.
Mollaths Behauptungen stimmen
Sechs Jahre lang sitzt Gustl Mollath weitgehend vergessen in der Psychiatrie. 2012 passiert dann etwas, was den Fall endgültig in den Fokus der Öffentlichkeit rückt: Der interne Revisionsbericht der "HypoVereinsbank" wird öffentlich, jahrelang lag er schon bei der Bank unter Verschluss. Der Bericht kommt "relativ schnell zu dem Ergebnis, dass alle nachprüfbaren Behauptungen stimmen und Mollath über Insiderwissen verfügt", sagt Journalist Ritzer.
Die "Süddeutsche Zeitung" hatte den Revisionsbericht zugespielt bekommen. Darin dokumentiert sind gravierende Verfehlungen der Mitarbeiter, Verstöße gegen interne Richtlinien und externe Vorschriften, etwa das Geldwäschegesetz. Der gigantische Schwarzgeldskandal, den Mollath vermutet, existiert allerdings wohl nicht. Ein Steuerfahnder spricht vielmehr von alltäglichen Schwindeleien einiger Bürger. Beweise für ein Komplott von Banken, Justiz und Politik, um den Mitwisser Mollath aus dem Weg zu räumen, werden nicht gefunden.
Wachsender Druck vor Landtagswahl
Trotzdem: Die Öffentlichkeit ist alarmiert, der Druck auf Politik und Justiz wächst. Im September wird in Bayern gewählt, Mollath wird zum Wahlkampfthema, die Regierung gerät in Bedrängnis. Im Frühjahr 2013 setzt das Parlament des Bundeslandes Bayern, dessen Justizbehören mit dem Fall Mollath befasst waren, einen Untersuchungssausschuss ein. Dieser beleuchtet den Fall genauer und bringt tatsächlich neue Details ans Licht. Auch Mollath selbst wird gehört. "Es dürfte das erste Mal in der deutschen Parlamentsgeschichte gewesen sein, dass ein Parlament einen Zeugen anhört, der für wahnsinnig und gemeingefährlich erklärt ist", sagt der Journalist Uwe Ritzer. Zum ersten Mal seit sieben Jahren macht sich ein staatliches Gremium die Mühe, Gustl Mollath zuzuhören. Er spricht ruhig und konzentriert, berichten die Beobachter übereinstimmend.
Am Tag nach seinem Auftritt verkündet das Landgericht Bayreuth jedoch, dass Gustl Mollath weiter in der Psychiatrie bleiben muss. Als normaler verurteilter Straftäter wäre seine Strafe längst Vergangenheit. Der Strafrechtler Hans Kudlich betont jedoch, dass die Unterbringung in einer Psychiatrie eben keine Freiheitsstrafe darstelle, sondern eine Schutzmaßnahme für die Gesellschaft. "Im Ausgangsverfahren wurde eine Gefährlichkeit Mollaths festgestellt. Und es gab die Prognose, dass es in Freiheit wieder zu solchen Taten kommen könnte. Wenn man das als gegeben annimmt, dann haben wir kein anderes Mittel als einen Menschen einzusperren, so tragisch das auch ist."
Jetzt wertet das die bayerische Justiz anders. Gustl Mollath ist ab sofort ein freier Mann. Das Verfahren wird neu angesetzt. Die Nürnberger Richter begründeten ihre Entscheidung mit Zweifeln an dem Attest der Arztpraxis, die damals die Verletzungen seiner Ehefrau dokumentiert hatte. Nach Angaben des Gerichts war Mollaths Frau im Juni 2002 gar nicht von ihrer Hausärztin selbst, sondern von deren Sohn untersucht worden, der als Weiterbildungsassistent in der Praxis beschäftigt war.