Die Reichsten werden immer reicher
18. Januar 2016Die weltweite soziale Ungleichheit nehme dramatisch zu, heißt es in einer Untersuchung, den die Entwicklungsorganisation Oxfam im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos veröffentlichte.
Das Vermögen der 62 reichsten Menschen sei binnen fünf Jahren um mehr als eine halbe Billion US-Dollar auf 1,76 Billionen Dollar (1,61 Billionen Euro) gewachsen, so Oxfam. Dagegen sei das Gesamtvermögen der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung um rund eine Billion Dollar geschrumpft. Dies sei ein Rückgang um 41 Prozent - obwohl im selben Zeitraum die Weltbevölkerung um 400 Millionen Menschen gewachsen sei.
Das reichste eine Prozent der Weltbevölkerung verfügt über mehr Vermögen "als der Rest der Welt zusammen", heißt es in dem Oxfam-Bericht unter Bezug auf Analysen des "Wealth Reports 2015" der Schweizer Bank Credit Suisse.
Steuerpolitik und Steueroasen begünstigen soziale Schere
Ein Grund für die Entwicklung sei die unzureichende Besteuerung von großen Vermögen und Kapitalgewinnen sowie die Verschiebung von Gewinnen in Steueroasen, hieß es von Oxfam. Investitionen von Unternehmen in Steuerparadiesen haben sich demnach zwischen 2000 und 2014 vervierfacht. Neun von zehn der weltweit führenden Großunternehmen haben nach Recherchen der Hilfsorganisation Präsenzen in mindestens einer Steueroase. Entwicklungsländern gingen auf diese Weise jedes Jahr mindestens 100 Milliarden Dollar an Steuereinnahmen verloren.
Oxfam appellierte mit der Studie an die in Davos erwarteten Regierungsvertreter und Topmanager aus mehr als 100 Ländern, ihren Einfluss dafür zu nutzen, dass die Schere zwischen Arm und Reich kleiner und nicht immer größer werde. "Wir leben in einer Welt, deren Regeln für die Superreichen gemacht sind", sagte Oxfam-Experte Tobias Hauschild. Soziale Ungleichheit führe aber dazu, dass Gesellschaften auseinanderdriften und es ihnen an sozialem Zusammenhalt fehlt. Menschen fühlen sich um die Früchte ihrer Arbeit betrogen, ausgegrenzt, nicht anerkannt. Das schüre wiederum Politikverdrossenheit, Spannungen und Gewalt. Soziale Ungleichheit ist aber auch schlecht für nachhaltiges Wirtschaftswachstum und behindert die Armutsbekämpfung.
"Nötig ist ein Wirtschafts- und Finanzsystem, vom dem alle profitieren", verlangte Hauschild. Die Politik müsse dafür sorgen, dass Steueroasen trockengelegt werden. Um ein gerechtes internationales Steuersystem zu schaffen, müssen nach Auffassung von Oxfam Unternehmen zu einer öffentlichen und länderbezogenen Berichterstattung über Gewinne und deren Versteuerung verpflichtet werden. Zudem müssten Staaten den "ruinösen Wettlauf um die niedrigsten Steuersätze" beenden und sämtliche Steueranreize transparent machen. Zugleich sollten anstelle einer stärkeren Belastung des Konsums höhere Abgaben auf große Vermögen und Kapitalgewinne erhoben werden.
Zudem will Oxfam eine bessere Berücksichtigung der Entwicklungsländer bei der Verwendung der Steuereinnahmen mit einer "zwischenstaatlichen Steuerinstitution auf UN-Ebene, die alle Länder umfasst".
Skepsis vom Institut der Deutschen Wirtschaft
Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln äußerte sich skeptisch dazu: Mehr Steuergelder würden nicht automatisch bedeuten, dass Arme davon profitieren, sagte IW-Expertin Judith Niehues dem Berliner "Tagesspiegel" (Montag). Armut ließe sich nicht rein über die Einnahmenseite bekämpfen, so Niehues. Wichtiger seien Investitionen in Bildung und ein leichterer Zugang zum Arbeitsmarkt.
Obwohl der Kampf gegen Steueroasen wichtig sei, könne er den Armen möglicherweise nur bedingt helfen, sagte IW-Forscher Tobias Hentze dem "Tagesspiegel". Es sei zudem schwer abzusehen, welche Länder dadurch am Ende mehr Steuern einnehmen würden. "Es kann durchaus sein, dass hiesige Firmen künftig manches etwa in China oder Indien statt hierzulande versteuern müssen", sagte er. Dann bliebe am Ende sogar weniger Geld in deutschen Kassen hängen - was dem Bund weniger Spielraum für soziale Unterstützung geben würde.
Kritik an der Berechnungsmethode von Oxfam kommt auch von der "Süddeutschen Zeitung". Sie merkt an, dass Oxfam mit der Reichenliste des Magazins "Forbes" und dem Vermögensbericht der Credit Suisse zwei völlig unterschiedliche Studien miteinander vermenge, letztlich also Äpfel mit Birnen vergleiche. Das führe unter anderem zu dem kuriosen Ergebnis, dass deutsche Immobilienbesitzer statistisch zum armen Teil der Weltbevölkerung zählten.
In Deutschland klafft die Schere besonders weit auseinander
Im Vergleich zu anderen OECD-Ländern ist in Deutschland die Ungleichheit bei Vermögen, Einkommen und Chancen besonders hoch und in den vergangenen Jahrzehnten massiv angestiegen, heißt es weiter in dem Oxfam Bericht. Die reichsten zehn Prozent der Haushalte in Deutschland besitzen mindestens 63 Prozent des Gesamtvermögens. Damit steht Deutschland in Bezug auf die Vermögensungleichheit im Vergleich zu anderen Ländern in der Eurozone am schlechtesten da. Der größte Anteil dieser Vermögensungleichheit geht auf Erbschaften und Schenkungen zurück.
Zur Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums kommen vom 20. bis zum 23. Januar im Schweizer Alpenkurort Davos wieder rund 2500 Spitzenpolitiker, Konzernchefs und Wissenschaftler zusammen. Deutschland wird durch Bundespräsident Joachim Gauck sowie Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und weitere Kabinettsmitglieder vertreten.
iw,wl/cw (dpa, afp, epd)