60 Jahre Kamerun - und keine Feierlaune
1. Januar 2020Auf dem Place du Gouvernement in Douala steht eine Statue des französischen Generals Philippe Leclerc. Kolonialherren im Stadtzentrum der kamerunischen Metropole - das finden nicht alle gut. Der kamerunische Aktivist Andre Blaise Essama ist besonders frustriert. Er und die Statue haben eine längere Geschichte: Essama wurde 2016 wegen Beschädigung des Denkmals zu sechs Monaten Haft verurteilt. Anfang 2015 ging er noch einmal für drei Monate ins Gefängnis, weil er die Statue des Franzosen umgeworfen hatte. Erst im April 2019 verschwand der Kopf der Statue. In Verdacht: Essama.
Der Aktivist hat seine eigene Tradition, die Unabhängigkeit Kameruns zu feiern: Er schlägt die Statue und singt dabei ein Lied. Am Neujahrstag 2020 sind es 60 Jahre, dass der französischsprachige Teil des Landes unabhängig ist - und trotzdem bleibt das Leclerc-Denkmal für Essama ein Symbol französischen Einflusses: "Wenn man ein Volk entkolonialisiert hat, sollte es sich Frankreich nicht mehr unterwerfen", so Essama frustriert. "Frankreich würde es niemals erlauben, ein Paul-Biya-Denkmal in ihrem Land einzuweihen. Gibt es einen kamerunischen General, der so geehrt wird? Nein."
Frankreich herrscht weiterhin
Noch heute lautet der Vorwurf, dass le Cameroun nie wirklich entkolonialisiert wurde. Gefeiert wird dieser Tag nicht, es bleibt still. Sowohl französisch- als auch englischsprachige Kameruner sehen Frankreich mehr als Feind denn als Freund. Der Geschichtsforscher Edward Nfor sagt, Frankreich habe 1960 die Welt getäuscht - es diktiere Kamerun auch heute noch. "Der Franzose führt die Fernlenkungen aus. Kameruns Präsident Paul Biya geht nach Frankreich, um zu fragen, was er in seinem Land tun soll."
Babissakana Thomas, Wirtschaftswissenschaftler aus Kamerun, sagt, einer der Hauptgründe für die wachsenden antifranzösischen Ressentiments sei, dass mehr als 50 Prozent der finanziellen Reserven Kameruns in der französischen Staatskasse gelagert würden. Dies gehe auf ein Abkommen zurück, das Kamerun 1948, weit vor der Unabhängigkeit, mit Frankreich unterzeichnet habe. "Ein Land kann keine Unabhängigkeit haben, wenn seine Währung, die ein wesentliches Instrument für seine Wirtschaftspolitik ist, von einem ehemaligen Kolonialherrn kontrolliert wird. Kamerun sollte alle französischen Bürger, die in seiner Zentralbank arbeiten, auffordern, das Land zu verlassen."
Antifranzösische Gefühle
Trotz des spürbaren französischen Einflusses in Kamerun ist es für Kameruner nicht leicht, nach Frankreich zu reisen. 70 Prozent der 300.000 Visumanträge in diesem Jahr wurden abgelehnt. Dennoch, so Christophe Guilhou, französischer Botschafter in Kamerun, seien die Beziehungen zwischen den beiden Ländern gut. "Frankreich stand und bleibt immer an der Seite Kameruns, denn Kamerun ist ein wichtiger Wirtschaftspartner in Zentralafrika. Frankreich ist ein sehr wichtiger Partner in der kamerunischen Wirtschaft mit mehr als 300 Unternehmen, die Tausende von Arbeitsplätzen in Kamerun schaffen."
Kamerun ist Frankreichs überdrüssig - so wie schon bereits vor 60 Jahren. Im März 1959 debattiert Französisch-Kameruns gesetzgebende Versammlung hitzig über die Unabhängigkeit Kameruns. Seit 1919, kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, kontrollierten sowohl Frankreich als auch Großbritannien jeweils einen Teil Kameruns. Zum Jahreswechsel 1960 sollten die von den UN erteilten Schutzmandate ablaufen. Die UPC, die Nationale Union der Völker Kameruns unter der Führung von Félix Roland Moumié, argumentierte nun, dass zuerst beide Kameruns wiedervereinigt werden sollten, bevor sie gemeinsam unabhängig würden. Doch der damalige Premierminister Ahmadou Ahidjo sieht die Unabhängigkeit als das vorrangige Ziel. Auch Frankreich will dem französischsprachigen Teil zur Unabhängigkeit verhelfen.
Die umstrittene Unabhängigkeit
Als Gegner dieser Pläne gründete Moumié im Mai 1959 die Kamerunische Befreiungsarmee, die gegen die französische Regierung rebellierte. In der Silvesternacht auf den 1. Januar 1960 hallen Schüsse durch die Stadt. Am Neujahrsmorgen proklamiert Premier Ahidjo die Unabhängigkeit von Frankreich, erzählt der Kulturunternehmers Luc Delors Yatchokeu, der damals mit seinen Eltern in Mbanga, eine Autostunde von Douala entfernt, lebte. Das Land sei außer sich vor Freude gewesen, als die Unabhängigkeitsrede von Radio Douala, Kameruns führendem Radiosender, live übertragen wurde.
Diese von oben verordnete Unabhängigkeit ist aus heutiger Sicht umstritten - eigentlich hätte nach dem Ende des Protektorats eine andere Option bereitgestanden, sagt Historiker Nfor: "Sie hätten die Unabhängigkeit durch ein von den Vereinten Nationen organisiertes Referendum erhalten müssen, genau wie der englische Teil." Dort sollte die Bevölkerung im Februar 1961 abstimmen, zu wem sie gehören wollte. Letztlich zerbrach das Gebiet in zwei Teile: Der nördliche wurde an Nigeria angegliedert, der südliche verschmolz kurz darauf mit Französisch-Kamerun zur Vereinigten Republik Kamerun.
Anglophone in der Minderheit
1984 beschloss der junge Präsident der Republik,Paul Biya, das Land per Dekret in die Republik Kamerun umzubenennen. Die anglophone Bevölkerung Kameruns fühlte sich ausgegrenzt und systematisch unterdrückt. "Paul Biya selbst sagte, sie hätten versucht, den englischen Mann dazu zu bringen, wie ein Franzose zu leben. Heute rebelliert der englische Mann", bestätigt auch Nfor die Ablehnung Frankreichs des anglophonen Kameruns. Nfor bezieht sich damit auf die Krise der Anglophonen, in der sich Kamerun, ein Land mit 26 Millionen Einwohnern, befindet. So hat sich jahrelanger Frust bei der anglophonen Bevölkerung angestaut.
Heute versucht die Zentralregierung in Yaounde die Situation durch verschiedene Regelungen, wie z.B. zur Dezentralisierung und der Anerkennung eines Sonderstatus für den englischsprachigen Raum, zu beruhigen. Doch der Frust bricht sich längst in Gewalt Bahn, drei Jahre Bürgerkrieg haben bereits 3000 Tote, tausende Vertriebene und fast die gesamte Wirtschaft des englischsprachigen Teils des Landes gekostet. 60 Jahre nach der Unabhängigkeit von Frankreich ist jedoch niemandem zum Feiern zumute.
Mitarbeit: Moki Kindzeka, Henri Fotso