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...3,2,1: B-Day! Die Briten entscheiden

Barbara Wesel (London), Bernd Riegert (Brüssel)23. Juni 2016

Großbritannien - raus aus der EU? Oder drinbleiben? Wie läuft der Tag ab und was passiert danach? Barbara Wesel (London) und Bernd Riegert (Brüssel) geben einen Überblick.

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Flaggen Großbritanniens und der EU vor Big Ben (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/N. Hall

Donnerstag, 23. Juni

07:00 Uhr (Ortszeit), 08:00 Uhr Mitteleuropäische Sommerzeit MESZ

Die Wahllokale in England, Wales, Schottland und Nordirland (Gibraltar ab 08:00 Uhr MESZ) öffnen. Bereits auf dem Weg zur Arbeit können die 46,5 Millionen registrierten Wählerinnen und Wähler ihr Kreuzchen mit dem Bleistift machen. Sie sollen folgende Frage auf dem Wahlzettel beantworten: "Sollte das Vereinigte Königreich Mitglied der Europäischen Union bleiben oder die Europäische Union verlassen?"

Das Ergebnis des Referendums hängt auch mit der Höhe der Wahlbeteiligung zusammen. Je mehr Wähler abstimmen, desto besser sind die Chancen für "Remain", den Verbleib Großbritanniens in Europa. Zu erwarten ist, dass quasi alle Verfechter des EU-Ausstiegs zur Abstimmung gehen werden. "Leute sagen mir, sie würden über zerbrochenes Glas kriechen, um für 'Leave' zu stimmen", behauptet Nigel Farage, der für die europafeindliche UKIP-Partei für den Austritt kämpft. Die Stimmen der Unentschiedenen oder wenig engagierten Briten werden also das Ergebnis bestimmen.

09:50 Uhr (Ortszeit), 10:50 Uhr MESZ

In Brüssel schauen EU-Beamte, Kommissare und Abgeordnete mit Spannung auf das Referendum, aber der Donnerstag ist ein normaler Arbeitstag und deshalb herrscht "business a ususal". EU-Parlamentspräsident Martin Schulz empfängt am Vormittag den Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas. Der Palästinenserführer wird am Nachmittag in einer feierlichen Sitzung zu den Europa-Abgeordneten sprechen, auch zu den britischen. Viele sind allerdings nicht in Brüssel. Die meisten der 73 britischen Abgeordneten haben Wahlkampf für "Remain" oder "Leave" gemacht und warten in ihren Wahlkreisen auf das Ergebnis, das sie ihren Job kosten könnte.

ca. 10:00 Uhr (Ortszeit), 11:00 Uhr MESZ

Medienwirksam werden Premier David Cameron und der oberste Brexit-Anhänger Boris Johnson vor laufenden Kameras ihre Stimmen abgeben. Prominente Politiker tun dies immer in ihren eigenen Wahlkreisen. Auf jeden Fall wollen sie in den Nachrichtensendungen am Mittag präsent sein. Der eigentliche Wahlkampf aber hat am Vorabend geendet, es gibt keine weiteren öffentlichen Auftritte an diesem Tag.

Noch im Laufe dieses Tages aber sind freiwillige Wahlhelfer unterwegs, um die Bürger zu den Wahlurnen zu bewegen. Die Stimmen regelrecht von Haustür zu Haustür einzusammeln, gehört in Großbritannien zur Tradition. Die Wahlbeteiligung könnte ähnlich hoch liegen wie 2015 bei den letzten Unterhauswahlen, 66,1 Prozent. Die Queen, die sich nie politisch äußert, wird übrigens auch nicht wählen gehen.

Karte EU ohne Großbritannien (DW-Symbolbild)
Bald ein weißer Fleck? Die Europäische Union ohne das Vereinigte Königreich

11:15 Uhr (Ortszeit), 12:15 Uhr MESZ

Die tägliche Pressekonferenz der EU-Kommission in Brüssel: "Wir warten auf das Ergebnis und werden entsprechend reagieren", wird der Sprecher sagen oder etwas ähnliches. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat immer wieder dafür geworben, dass Großbritannien Mitglied bleibt. Juncker empfängt am B-Day den Präsidenten Israels und wird "bis in den späten Abend hinein sehr beschäftigt sein", teilte die EU-Kommission mit. Sollte es einen Austritt Großbritanniens aus der EU geben, werde Jean-Claude Juncker nicht zurücktreten, sagte sein Sprecher bereits am Mittwoch.

22:00 Uhr (Ortszeit), 23:00 Uhr MESZ

Die Wahllokale in den 382 Wahlbezirken schließen. Es wird anders als bei nationalen Wahlen keine Exit-Polls, also Wählerbefragungen direkt an den Wahllokalen, geben. Das Referendum ist in dieser Form einmalig und die Wahlforscher haben keine Vergleichsdaten aus früheren Jahren, um Prognosen zu erstellen.

Es gibt jedoch private Exit-Polls von Hedge Fonds, die früh eine Idee vom Ergebnis haben wollen. Sie setzen große Summen auf das steigende oder fallende Pfund, je nachdem wie die Wähler entscheiden.

ca. 23:30 Uhr (Ortszeit), 00:30 Uhr MESZ (Freitag)

In Sunderland im Nordosten des Landes wird das erste Einzelergebnis erwartet. Die Stimmen werden traditionell einzeln per Hand ausgezählt. Im Laufe der Nacht werden dann nach und nach die Einzelergebnisse aus allen Wahlbezirken veröffentlicht und addiert.

David Cameron (Foto: picture alliance)
Bleibt er oder geht er? Camerons Schicksal hängt am ReferendumBild: picture-alliance/dpa/A. Rain

Freitag 24. Juni

ca. 04:00 Uhr (Ortszeit), 05:00 Uhr MESZ

Am frühen Morgen müssten mehr als 50% der Stimmen ausgezählt sein und ein Trend sollte sichtbar werden. Allerdings können Einzelergebnisse zu diesem Zeitpunkt noch verzerrend wirken, etwa aus Universitätsstädten wie Oxford oder Cambridge, von denen ein starkes Votum für Europa zu erwarten ist. Je nachdem, wie weit der Abstand zwischen den Lagern ist, kann es noch Stunden dauern, bis ein belastbares Ergebnis vorliegt. Je knapper, desto länger muss bis zum letzten Wahlbezirk gezählt werden.

ca. 07:00 Uhr (Ortszeit), 08:00 Uhr MESZ

Bleiben oder gehen? Das Endergebnis wird erwartet. Eventuell etwas später, denn wenn es wirklich knapp wird, müssen die Stimmen von Briefwählern noch vollständig ausgezählt werden.

Kurz darauf, egal wie das Ergebnis aussieht, wird Premierminister David Cameron in London ein Statement abgeben. Auch für den Fall eines Brexits hat er seinen unmittelbaren Rücktritt ausgeschlossen. Entscheiden sich die Briten für den Verbleib in der EU, wird Cameron die schwierige Aufgabe haben, das gespaltene Land und seine konservative Partei wieder zu einen. Die während der monatelangen Kampagne aufgerissenen Gräben sind tief. Kommt der Brexit, dürfte er allerdings nur noch übergangsweise im Amt verbleiben. Der Kampf um den Vorsitz der konservativen Partei und die Anwartschaft auf seine Nachfolge hat hinter den Kulissen schon begonnen.

07:00 Uhr (Ortszeit), 08:00 Uhr MESZ

Die Vorsitzenden der Fraktionen im Europäischen Parlament treffen sich in Brüssel, um den Ausgang des Referendums zu beraten. Eine Mehrheit tendiert dazu, im Falle eines Falles eine schnelle Trennung von Großbritannien zu vollziehen. Ein Jahr sollte reichen, um die EU-Verträge zu entwirren und den Austritt zu organisieren. Unklar ist, wie lange es dauert, um das neue Verhältnis Großbritanniens zur EU zu gestalten. Wird Großbritannien ein normaler Drittstaat wie die USA oder Saudi-Arabien? Oder erhält es eine privilegierte Partnerschaft? Oder tritt es der Europäischen Freihandelszone (EFTA) mit entsprechenden Rechten und Pflichten wie Norwegen und die Schweiz bei?

08:30 Uhr (Ortszeit), 09:30 MESZ

Als erster Spitzenvertreter der EU tritt Parlamentspräsident Martin Schulz in Brüssel vor die Kameras, um den Ausgang des Referendums zu bewerten.

09:00 Uhr (Ortszeit), 10:00 Uhr MESZ

Die Börse in London öffnet. Im Falle eines Brexit könnten das britische Pfund und die Aktienkurse schwer unter Druck geraten. Manche Analysten sahen einen schwarzen Freitag voraus.

Martin Schulz, Jeroen Dijsselbloem, Jean-Claude Juncker und Donald Tusk (Foto: picture aliiance)
Schulz (l.), Juncker (M.), Tusk (r.): Wohin steuert Europa?Bild: EPA/OLIVIER HOSLET

09:30 Uhr (Ortszeit), 10:30 Uhr MESZ

Die drei Präsidenten der größten EU-Institutionen, Kommission, Rat und Parlament treten zu Beratungen zusammen. Anschließend sollen Jean-Claude Juncker, Ratspräsident Donald Tusk und Martin Schulz die Frage beantworten: Was nun, Europa? Den ganzen Morgen über werden natürlich die Telefone zwischen Brüssel und den übrigen europäischen Hauptstädten heiß laufen. Berlin und Paris haben eine gemeinsame Erklärung vorbereitet. Vielleicht schließt sich auch Polen dieser Erklärung an.

13:00 Uhr (Ortszeit) 14:00 Uhr MESZ

In Luxemburg tritt der "Allgemeine Rat der Europäischen Union" zu einer Sondersitzung zusammen. Der Rat, der normalerweise nur mit Staatssekretären oder anderen politischen Beamten besetzt ist, soll die Schlussfolgerungen vorbereiten, die der EU-Gipfel in der kommenden Woche beschließen soll. In diesen Schlussfolgerungen wird der Weg vorgezeichnet, den Großbritannien und die EU nach dem Referendum gehen sollen: Eine schnelle blutige Scheidung, ein langer Verhandlungsprozess - oder bleibt einfach alles so, wie es ist? Wegen der besonderen Bedeutung fliegt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ausnahmsweise selbst nach Luxemburg.

Samstag, 25. Juni

Die Außenminister der sechs Gründungsstaaten der Europäischen Union, die 1957 die "Römischen Verträge" unterschrieben haben, treffen sich in Berlin oder Brüssel. Die Minister aus den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Italien und Deutschland wollen beraten, was im Falles eines Ausstiegs des Vereinigten Königreichs passieren muss in der EU: Weitere Vertiefung der Zusammenarbeit in der EU oder eine Lockerung derselben oder die Gründung eines Kerneuropas aus eben diesen sechs Staaten?

Sonntag, 26. Juni

Das deutsch-französische Tandem, die oft beschriebene Herzkammer der Europäischen Union, ist gefragt: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Francois Hollande wollen sich entweder in Berlin oder Paris treffen. Sie müssen Antworten finden und das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs vorbereiten.

Francois Hollande und Angela Merkel (Foto: Reuters)
Der nächste Gipfel steht bevor: Hollande und Merkel wollen Führung zeigenBild: Reuters/T. Camus

Dienstag, 28. Juni und Mittwoch, 29. Juni

In Brüssel tritt der "Europäische Rat" zusammen, in dem die 28 Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten zusammen sitzen. 28? Vielleicht ist der britische Premierminister David Cameron gar nicht mehr oder nur noch geschäftsführend dabei, falls sein Volk den Ausstieg will. Sollten die Briten fürs "Bleiben" gestimmt haben, könnte Cameron auftrumpfen und einen weiteren Ausbau der Sonderrolle Großbritanniens verlangen. Die EU würde dann auf jeden Fall die Beschlüsse umsetzen, die bereits im Februar auf einem Sondergipfel gefasst worden waren: Das Ziel einer enger werdenden Zusammenarbeit "Ever closer union" wird für die Briten gestrichen. Sozialleistungen an EU-Bürger, die in Großbritannien leben, werden eingeschränkt. Die Euro-Währungsgemeinschaft, der Großbritannien nicht angehört, wird so ausgebaut, das der Finanzplatz London nicht beeinträchtigt wird.