"Die Berliner Mauer fiel auch in Afrika"
8. November 2019"Für alle Partnerländer der DDR hatte der Mauerfall immense Konsequenzen, vor allem für afrikanische Staaten wie Mosambik, Angola oder auch Äthiopien", sagt Markus Meckel im Gespräch mit der DW, der im Jahre 1990 kurz vor der Wiedervereinigung letzter Außenminister der DDR war.
Tatsächlich hatte die DDR zu mehreren afrikanischen Ländern wie Äthiopien, Angola, Mosambik, Guinea-Bissau oder Tansania, aber auch zu Befreiungsbewegungen wie die SWAPO in Namibia oder den ANC in Südafrika, besondere Beziehungen aufgebaut. Die DDR unterstützte diese Länder und Organisationen beim "Aufbau des Sozialismus", es gab präferenzielle Handelsabkommen, Ausbildungsprogramme und sogar Waffenhilfe. "Nach dem Fall der Mauer war es mit Alledem relativ schnell vorbei", erinnert sich Markus Meckel, der vor dem Mauerfall, als evangelischer Pfarrer in Magdeburg, viel Kontakt mit Afrikanern aus den "Bruderstaaten" der DDR pflegte.
Waren die Beziehungen zu den "Sozialistischen Bruderländern" in Afrika in der Zeit, als er als Außenminister die DDR abwickelte, überhaupt ein Thema? "Wir haben die ersten freien Wahlen organisiert und dann blieben nur noch wenige Wochen und Monate bis zur Wiedervereinigung", erinnert sich Markus Meckel. "Ich habe versucht, im Außenministerium das Thema Afrika zu behandeln, aber daraus ist in diesen stürmischen Zeiten nicht wirklich etwas geworden." Für die betroffenen Staaten und Organisationen in Afrika bedeute das: Die DDR fiel als Partnerland plötzlich weg. Die Länder mussten sich von heute auf morgen neu orientieren.
DDR-Vertragsarbeiter: "Wir wussten nicht, was los war"
Auch die etwa 20.000 afrikanischen Studenten und Vertragsarbeiter, die Ende der 80er Jahre in der DDR lebten, bekamen die Veränderungen unmittelbar zu spüren: Sie kamen aus Mosambik, Angola, Guinea-Bissau, Kap Verde oder Äthiopien. Der Mosambikaner Adelino Massuvira João war 28 Jahre alt und arbeitete aufgrund eines internationalen Freundschaftsvertrags im "Fahrzeug-, Sport- und Jagdwaffen-Kombinat" im thüringischen Suhl.
"Nach dem Mauerfall wurden unsere Arbeitsverträge aufgelöst und wir wurden arbeitslos. Die allermeisten von uns mussten zurück nach Mosambik", erinnert sich Massuvira im DW-Gespräch: "20.000 junge Männer und Frauen - plötzlich im luftleeren Raum. Auch das war eine Konsequenz des Mauerfalls", sagt er. Der Fall der Mauer habe die Afrikaner in der DDR völlig unvorbereitet getroffen. Deutschland und die Deutschen seien mit sich selbst und ihren eigenen Problemen beschäftigt gewesen. Und in Mosambik selbst habe sich die Regierung auf den Bürgerkrieg gegen die antikommunistischen Rebellen von der RENAMO konzentriert, so Massuvira. "Wir wurden einfach im Stich gelassen."
Der offizielle Diskurs von der Völkerfreundschaft sei kaum mehr als Ideologie gewesen. Es sei der DDR vor allem um Export von Ideologie gegangen, bestätigt Ex-Außenminister Meckel: "Da wurden ideologische Strukturen und Repressionsstrukturen weitergegeben und unterstützt." Vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts sei es vor allem darum gegangen, möglichst viele afrikanische Staaten auf den Pfad des Sozialismus zu lenken und den Kurs mit allen Mitteln zu unterstützen.
Stellvertreterkriege: Der Ost-West-Konflikt auf afrikanischem Boden
Der Fall der Berliner Mauer fiel in die Zeit mehrerer Ost-West-Stellvertreterkriege in Afrika: In Angola bekämpften sich nach der Unabhängigkeit von Portugal im Jahr 1975 die von den USA und Teilen der Bundesrepublik unterstützte UNITA und die von der UdSSR und der DDR unterstützte MPLA. In Mosambik bekämpfte die marxistische FRELIMO-Regierung die Rebellen von der RENAMO.
Der Angolaner Orlando Ferraz erlebte den Tag des Mauerfalls als junger Student der russischen Sprache und Literatur am Pushkin-Institut in Moskau, einer Kaderschmiede für junge Parteifunktionäre, auch aus dem afrikanischen Ausland. Er habe den Tag mit zahlreichen ostdeutschen Studenten gefeiert und er habe sich sehr für seine deutschen Kommilitonen gefreut, erinnert er sich. Kurz darauf sei Ferraz nach Angola zurückgegangen, um als Funktionär der marxistisch-leninistischen Staatspartei MPLA zu arbeiten.
Dort habe sich allerdings - nach dem Ende des Kalten Krieges - vieles radikal verändert: "Die Auswirkungen des Mauerfalls auf mein Land waren enorm. Angola war ja eng mit der DDR verbunden gewesen - vor allem ideologisch, aber auch militärisch. Die DDR hatte jahrelang die MPLA unterstützt im Krieg gegen die UNITA-Rebellen, die ideologisch vom Westen unterstützt wurden. Diese alten Allianzen brachen plötzlich zusammen."
Der brutale angolanische Bürgerkrieg seien von da an nicht mehr von Ideologien aus dem Ausland befeuert worden. Es sei plötzlich ein rein angolanischer Krieg geworden, erinnert sich Ferraz. Das habe dazu geführt, dass die beiden Kriegsparteien langsam aufeinander zugegangen seien. Einige Jahre später sei dann auch der Durchbruch bei den Friedensverträgen gelungen.
Ähnlich verlief die Geschichte in Mosambik, erinnert sich der ehemalige DDR-Vertragsarbeiter Adelino Massuvira João: "In meinem Land dauerte es nach dem Mauerfall nicht lange, bis die Friedensverträge zwischen der marxistischen FRELIMO und der vom Westen unterstützten RENAMO unterschrieben wurden." Mit dem Mauerfall sei sein Land nicht länger ein Testgelände für den Ost-West-Konflikt gewesen, so Massuvira, der nach dem Mauerfall als einer der wenigen ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter in Suhl bleiben konnte und heute für die evangelische Kirche arbeitet. Sein Fazit: Der Mauerfall hat im großen Maße zum Frieden auf dem afrikanischen Kontinent beigetragen.
Nach dem Mauerfall: Weniger Optionen für afrikanische Länder?
"Insgesamt hat der Mauerfall die politischen Optionen vieler afrikanischer Länder verringert, denn die Konkurrenz zwischen Ost und West gab ihnen die Möglichkeit zwischen beiden Systemen zu jonglieren", sagt Dr. Berthold Unfried von der Universität Wien im DW-Interview.
Der Professor für Globalgeschichte rekonstruierte in detektivischer Archiv- und Feldarbeit, unter anderem in Tansania und Äthiopien, die Entwicklungshilfe in der Zeit des Kalten Krieges. In den beiden afrikanischen Ländern waren sowohl die BRD als auch die DDR aktiv, erinnert Unfried: "Äthiopien hat als Partnerland der DDR gleichzeitig in einem gewissen Ausmaß mit der BRD kooperiert. Und das gleiche gilt für Tansania, da war die DDR eigentlich im kleineren Ausmaß immer präsent, und die BRD stärker. Aber es gibt schon klare Orientierungen, welcher der jeweils stärkere Partner war."
Diese und andere afrikanischen Länder hätten im Kalten Krieg das eine System gegen das andere ausspielen können, "insofern als dass sie die Systemkonkurrenz genutzt haben um Gelder von beiden Systemen zu bekommen", erläutert Unfried: "Aus Äthiopien bezog die DDR Kaffee zu günstigen Bedingungen im Tauschhandel, allerdings nur ein Jahr lang, nämlich das eine Jahr, im dem der Krieg mit Somalia ausbrach und die äthiopische Regierung fürs Überleben auf die DDR angewiesen war. Danach zog es Äthiopien vor, diesen Kaffee auf dem Weltmarkt für Dollars zu verkaufen."