29. April 1945: US-Armee befreit KZ Dachau
29. April 2020Die "Rainbow Division" der 7. US-Armee rückte zielgerichtet von Würzburg nach Süden vor. Am morgen des 29. April 1945 erreichten sie die verschlossenen Tore eines Konzentrationslagers in der Nähe von München. Die deutsche Wehrmacht hatte längst den Rückzug angetreten, die SS-Wachmannschaften waren zum größten Teil auf der Flucht.
Die US-Soldaten besetzten das völlig verdreckte Lager. Das Bild was sich ihnen bot, war schockierend: Hunderte von Leichen in Baracken und offenen Güterwaggons, halbverhungerte Häftlinge, Traumatisierte, Typhuskranke. Nur die wenigsten von ihnen konnten sich auf den Beinen halten.
Aber es gab auch eine Gruppe von etwas kräftigeren KZ-Häftlingen, die sich im Chaos der überfüllten Lager-Baracken zu einer Gruppe zusammengetan hatten. Den amerikanischen GIs, die systematisch das Nazi-Konzentrationslager durchsuchten, gaben sie sich als Internationales Häftlings-Komitee zu erkennen.
Geruch von Tod durchwehte das Lager
"Hinter dem Stacheldraht und dem elektrischen Zaun saßen die Skelette in der Sonne und suchten sich nach Läusen ab. Sie sind völlig alterslos und gesichtslos; alle sehen gleich aus...", schreibt die Amerikanerin Martha Gellhorn, die seit Oktober 1944 den Vormarsch der US-Truppen durch das besetzte Europa als Kriegsreporterin begleitet.
Anfang Mai 1945 betritt sie das bereits befreite Konzentrationslager Dachau. Nach einem ersten Rundgang ist sie erschüttert, was sie dort vorfindet. "Wir überquerten das weite, volle, staubige Gelände zwischen den Gefängnisbaracken und betraten das Lazarett. Im Flur saßen weitere Skelette, und der Geruch von Krankheit und Tod ging von ihnen aus. Sie beobachteten uns, aber sie rührten sich nicht; kein Ausdruck zeigte sich auf ihrem Gesicht, das nur noch gelbliche, stoppelige Haut, über Knochen gespannt, ist."
Reportagen aus dem Vorhof der Hölle
Gellhorn war die Ehefrau des berühmten Schriftstellers Ernest Hemingway, den sie 1941 geheiratet hatte - mehr aus Rivalität denn aus Liebe. Seit dem Beginn des Spanischen Bürgerkriegs 1936 berichtete sie für große amerikanische Zeitungen von allen Kriegsschauplätzen der Welt. Martha Gellhorn war Kriegsreporterin mit Leib und Seele. Als "embedded journalist" begleitete sie die in Europa vorrückende US-Armee an vorderster Front. Am 26. April 1945 erreichte sie mit den GIs das Allgäu und kam Anfang Mai in das befreite KZ Dachau.
"Was die meisten umbrachte, war der Hunger; verhungern lassen war hier Routinesache", fasste die amerikanische Reporterin ihre erschütternden Beobachtungen und ersten Gespräche mit überlebenden Häftlingen zusammen, die ihr von Zwangsarbeit und Lageralltag erzählten. "Man arbeitete diese unglaublich vielen Stunden bei dieser kargen Verpflegung und lebte in einer derartigen Überfüllung, die Leiber in unbelüftete Baracken gepfercht, und wachte Morgen für Morgen schwächer auf, den Tod erwartend."
Wohnen neben dem Krematorium
Von 1933 an waren weit über 200.000 Häftlinge im KZ Dachau interniert, kann Gellhorn den Lagerakten entnehmen. "Man weiß nicht, wie viele Menschen in den zwölf Jahren ihres Bestehens in diesem Lager umkamen, aber man weiß, dass es in den letzten drei Jahren mindestens 45.000 waren", fasst die amerikanische Journalistin in einer ihrer Reportagen zusammen. Diese Zahl wurde später korrigiert.
Was sie im April/Mai 1945 vor Ort in Dachau und im besiegten "Dritten Reich" an furchbaren Fakten und Zahlen über die Opfer und die unmenschlichen Zustände in den Konzentrationslagern der Nazis recherchieren kann, erschüttert selbst die erfahrene Kriegsreporterin. Einen subtilen Zynismus kann sie am Schluss nicht mehr unterdrücken.
"Vor dem Krematorium, durch einen Gartenstreifen davon getrennt, stand ein lange Reihe gut gebauter, geräumiger Häuser", schreibt sie im Mai 1945. "Darin wohnten die Familien der SS-Offiziere; ihre Frauen und Kinder lebten dort glücklich und zufrieden, während die Schornsteine des Krematoriums mit menschlicher Asche gesättigten Rauch ausspien... Im letzten Februar und März wurden Häftlinge in der Gaskammer umgebracht, weil sie, obgleich zu schwach zum Arbeiten, nicht die Freundlichkeit besaßen, zu sterben. Also besorgte die SS das für sie."
Ausbildungslager für die SS
Dachau war eines der ersten Konzentrationslager, das die Nazis auf deutschem Boden errichtet hatten. Auf Anordnung des Leiters der Politischen Polizei in Bayern, Heinrich Himmler, wurde im Frühjahr 1933 in einer stillgelegten Munitionsfabrik in der Nähe von Dachau ein provisorisches Internierungslager für männliche Häftlinge eingerichtet. Von der Anordnung der Baracken bis zur SS-Verwaltungsorganisation wurde Dachau später Vorbild für alle anderen Konzentrationslager der Nazis, auch für das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.
Der erste Lagerkommandant war Hilmar Wäckerle. Ab Juni 1933 baute dann Theodor Eicke, ein strammer Nazi und ehrgeiziger SS-Offizier, das KZ befehlsgemäß zu einem längerfristigen "Modell und Musterlager" aus und perfektionierte das brutale Strafreglement für die Häftlinge. Die Häftlingsbaracken waren exakt an langen Lagerstraßen ausgerichtet, davor blieb Platz für die Strafappelle der SS-Wachmannschaften. Eicke galt als heimtückisch und skrupellos. Den in Ungnade gefallenen SA-Führer Ernst Röhm ermordete er 1934 eigenhändig.
Die ersten Häftlinge in Dachau waren vor allem politische Häftlinge: Gegner des NS-Regimes, Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Kommunisten, teilweise auch konservative Politiker. Später folgten dann Kriminelle, Zeugen Jehovas, Homosexuelle, Sinti und Roma, politisch engagierte Christen – und auch Juden.
Mit militärischem Drill und unbarmherziger Strenge gewöhnte Eicke die von ihm gedrillten SS-Aufseher an Quälereien, brutale Gewalt und die Tötungsmaschinerie: "Ich kann nur harte, zu allem entschlossene SS-Männer gebrauchen, Weichlinge haben bei uns keinen Platz!" Das von ihm entwickelte "Dachauer Modell" wurde Vorbild für alle weiteren Konzentrationslager der Nazis, auch für Auschwitz.
30. April 1945: Einmarsch in München
Als sich die Häftlinge am frühen Morgen des 28. April aus den Baracken auf den Appellplatz schleppten, sahen sie erstaunt, dass die SS auf einem der Wachttürme eine weiße Fahne gehisst hatte. Ein Großteil der SS-Leute waren längst geflohen.
Die verbliebenen Wachmannschaften versuchten mit Maschinengewehren, die Häftlinge in Schach zu halten. Gerüchte liefen wie Lauffeuer durchs Lager. Am nächsten Tag erreichten die Befreier der 7. US-Armee dann das Lager Dachau. Es war das vorletzte aller nationalsozialistischen Konzentrationslager, das von den alliierten Truppen der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs befreit wurde.
Am 30. April marschierten die Amerikaner dann in München ein - dort wo die Nazis mit Führerbau und Parteizentrale der NSDAP die "Hauptstadt der Bewegung", wie es im NS-Jargon hieß, etabliert hatten. Wenig später sickerte durch, dass Hitler mit seiner Frau Eva Braun im Berliner Führerbunker Selbstmord begangen hatte.
Die letzten Häftlingstransporte aus dem Osten und auch das Lager Mühldorf bei München wurden Anfang Mai von den US-Truppen befreit. Am 8. Mai 1945 trat dann die "bedingungslose Kapitulation" in Kraft, der Krieg war endgültig zu Ende.