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PolitikEuropa

2025: Kein leichtes Jahr für die EU

31. Dezember 2024

Die 2024 neu gewählte EU-Mannschaft in Brüssel steht vor großen Herausforderungen. Wie ist das ohne ein starkes Tandem Deutschland-Frankreich zu schaffen? Ein Ausblick von Bernd Riegert.

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Flaggen der EU
Schön bunt, aber schwer zusammenzuhalten: Die EU-Mitgliedsstaaten streben in vielen Fragen auseinanderBild: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/ZB/picture alliance

Eine verwundbare Ukraine, ein Kriegstreiber Russland und ein narzisstischer Donald Trump: Das bleiben die größten Herausforderungen für die Europäische Union im kommenden Jahr. Hinzu kommen interne Probleme wie die lahmende Wirtschaft, eine hohe Verschuldung sowie die eingeschränkte Handlungsfähigkeit in den beiden größten Mitgliedsstaaten Deutschland und Frankreich. Die Aussichten sind also nicht rosig. Was steht an für die runderneuerte Mannschaft in Brüssel? EU-Ratspräsident Antonio Costa und die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas sind seit 1. Dezember neu im Amt. Geblieben ist Ursula von der Leyen, doch auch ihre EU-Kommission wurde ansonsten komplett neu aufgestellt. Die neue Mannschaft sei immerhin eine Chance, meint Steven Everts vom Europäischen Institut für Sicherheitsstudien in Paris: "Das ist der Moment, in dem wir die EU-Außenpolitik überdenken, anpassen und wiederbeleben können."

1. Hilfe für die Ukraine

Finanz- und Militärhilfen für die von Russland angegriffene Ukraine stehen ganz oben auf der Liste der dringenden Aufgaben. Monatlich wird die EU aus ihrem Gemeinschaftshaushalt im kommenden Jahr 1,5 Milliarden Euro an die Staatskasse in Kyjiw überweisen. Hinzu kommt ein 50 Milliarden Euro umfassender Kredit der G7 an die Ukraine, der mit Gewinnen aus eingefrorenen russischen Vermögen bedient wird. Außerdem werden große Mengen an Munition und Waffen von den europäischen Staaten finanziert werden müssen, um dem EU-Beitrittskandidaten Ukraine zu helfen. Die Rechnung könnte noch viel umfangreicher werden, wenn der neue US-Präsident Donald Trump seine Drohungen wahr macht und der Ukraine die bisher üppige Hilfe aus den USA kürzt oder ganz streicht. Bislang haben die USA fast die Hälfte der Ukraine-Beihilfen finanziert. Wieviel Geld fällig würde, darüber wird in Brüssel heftig spekuliert, berichten EU-Diplomaten. Was genau 2025 eintreten wird, weiß niemand. "Wir warten erst einmal ab. Richtig vorbereitet sind wir auf Trump nicht", so ein EU-Diplomat hinter vorgehaltener Hand.

Ukraine Kyjiw | António Costa Präsident Europäischer Rat und Präsident Selenskij
Erster Arbeitstag von EU-Ratspräsident Antonio Costa (li.): Ein Besuch in Kyjiw am 1. Dezember 2024 soll Solidarität beweisenBild: Alina Smutko/REUTERS

2. Aufrüsten

Abgesehen von der Ukraine steht die eigene Verteidigung gegen Russland bei der EU 2025 im Fokus. Zum ersten Mal gibt es einen EU-Kommissar für das neue Ressort Verteidigung und Weltraum. Andrius Kubilius soll aber keine europäische Armee aufstellen, sondern nur die Rüstungs- und Beschaffungspolitik der EU-Mitglieder besser koordinieren. Die Budgets in vielen Mitgliedsstaaten sind zu klein, um schnell neue Waffen zu kaufen oder mehr Soldatinnen und Soldaten vorzuhalten.

Trainingslager für den Ukraine-Krieg

Der Druck könnte noch zunehmen, falls US-Präsident Donald Trump daran geht, die Ausgaben für die Verteidigung Europas zu kürzen und mehr Eigenleistung der Europäer zu fordern. Woher die vielen Milliarden für das Militär kommen sollen, ist vielen EU-Politikern ein Rätsel. Allein in Deutschland fehlen mittelfristig 230 Milliarden Euro im Wehretat, schätzt das Wirtschaftsforschungsinstitut IFO in München. In Italien sind es 120 Milliarden, in Spanien 80 Milliarden. Die Idee einiger Staaten, die Militärausgaben durch zusätzliche gemeinsame Schulden der EU zu finanzieren, hat der neue deutsche Finanzminister Jörg Kukies (SPD) sofort ausgebremst.

3. Schulden managen

Überhaupt: die Schulden! Es müssen 2025 nicht nur neue Militärausgaben, sondern auch Investitionen in den klimagerechten Umbau der Wirtschaft, zur Stützung der Konjunktur und zum Wiederaufbau in Gaza, Libanon und Syrien finanziert werden. Der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, spricht in einem dramatischen Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft von einem Investitionsbedarf in Höhe von 800 Milliarden Euro.

Trump droht der Welt mit Zöllen

Der Italiener Draghi empfiehlt gemeinschaftliche Schulden für eine Anschubfinanzierung, um auch private Investoren ins Boot zu holen. Frankreich und Italien haben bereits ein Defizitverfahren der Europäischen Union am Hals. Spanien könnte bald dazukommen. Deutschland bleibt zwar unter der Schuldengrenze der EU, ist aber fiskalpolitisch wegen der Neuwahlen nicht recht handlungsfähig. Erst im Juli oder September wird ein neuer Finanzminister einen Bundeshaushalt für 2025 vorlegen. Die Verhandlungen für den neuen Finanzrahmen der EU werden sich durch die deutsche Regierungsbildung verzögern.

4. Handelskrieg verhindern

Handelspolitisch dürfte 2025 ein eher schwieriges Jahr werden. Mit China bahnt sich ein Handelskrieg um Elektroautos an. Mit den USA könnte es einen dramatischen Konflikt um Strafzölle geben, die Donald Trump gegen Europa, China, Mexiko und Kanada verhängen will. Der EU-Kommissar für Wirtschaft, Valdis Dombrovskis, will den Beratern des neuen US-Präsidenten vor allem klar machen, dass sie sich mit Zöllen selber schaden. "Ein Handelskrieg hilft niemanden. Man muss Trump die Zahlen präsentieren. Eine Fragmentierung des Welthandels nutzt keinem. Zölle würden sieben Prozent der Wirtschaftsleistung global vernichten. Das wäre wie in den 1930er Jahren, als Isolationismus schwer in Mode war", sagte Dombrovskis mit Verweis auf die Weltwirtschaftskrise jener Jahre und den Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland. Ein wenig Hoffnung macht das gerade unterzeichnete Handelsabkommen mit der Mercosur-Gruppe in Südamerika. Das muss die EU im kommenden Jahr in den eigenen Reihen aber noch verabschieden.

Frankreich I EP-Plenarsitzung - Ukrainehilfen
EU-Kommissar Dombrovskis: Wir reden bereits mit Trumps LeutenBild: Alain Rolland/European Union 2024

5. Einheit wahren

Wenig optimistisch geht der EU-Experte Janis Emmanouilidis von der Denkfabrik "European Policy Centre" (EPC) ins Neue Jahr. "Die EU war immer eine Garantin für Kompromisse. Diese Fähigkeit hat sie verloren", sagte Janis Emmanouilidis bei einer Veranstaltung in Brüssel Anfang Dezember mit Blick auf die außenpolitischen und militärischen Herausforderungen, die in Deutschland mit dem Kanzler-Wort von der "Zeitenwende" umschrieben werden. "Die EU ist nicht mehr die Antwort auf vieles. Politik ist nationalistischer geworden." Viele Menschen, auch in den beitrittswilligen Ländern auf dem Westbalkan, hätten die Hoffnung verloren, dass die EU wirklich irgendwann ihre Versprechen wahr macht, so EU-Experte Emmanouilidis.

Brüssel Janis Emmanouilidis | Direktor "European Policy Centre" EPC
Seit vielen Jahren beobachtet und bewertet Janis Emmanouilidis EU-Politik in BrüsselBild: Martin Luy/DW

Frankreich und Deutschland würden jetzt als Führungsmächte in der EU gebraucht. Frankreich ist wegen seiner Regierungskrisen schwach. Deutschland ist wegen der Neuwahlen im Februar nur bedingt handlungsfähig. Auch die Minderheitsregierung in Spanien könnte noch am Haushalt scheitern. Italien wird von einer rechtsextremen Regierung geführt. Belgien und Österreich haben nur geschäftsführende Regierungen. Die Lage in Rumänien ist unübersichtlich. In den Niederlanden, Ungarn und der Slowakei regieren EU-Skeptiker. Viktor Orban, der ungarische Ministerpräsident, redet sich selbst ein, er habe während seiner Ratspräsidentschaft in der EU Frieden in der Ukraine durch Annäherung an Russland wahrscheinlicher gemacht. Er freut sich auf seinen Seelenverwandten Donald Trump im Weißen Haus. Das Jahr 2025 wird für die EU stürmisch werden – zumindest aber hochinteressant.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union