2018 - Das Jahr der Brexit-Entscheidungen
1. Januar 2018Phase I: Anfang Januar bis Ende März - die Übergangszeit
In Brüssel: Gut zwei Monate sind vorgesehen, um die Bedingungen für die von den Briten gewünschte Übergangszeit fest zu zurren. Das Angebot der EU lautet: Fortsetzung des Status quo über das Brexit-Datum hinaus bis Ende 2020.
In dieser Zeit hätte Großbritannien alle Pflichten eines EU-Mitglieds, müsste weiter den Beitrag zahlen, Freizügigkeit gewähren und bliebe Mitglied im Binnenmarkt. London verlöre allerdings seine Stimmrechte in der EU, ein Status ähnlich dem von Norwegen. Ein Zugeständnis würde Brüssel bei neuen Handelsabkommen machen: Die Briten dürften in der Übergangszeit verhandeln, auch abschließen, aber nicht umsetzen.
Zur gleichen Zeit will die EU-Kommission eine Reihe von Seminaren für ihre Mitgliedsländer abhalten. Sie sollen ihre jeweiligen Wirtschaftsbeziehungen mit dem Königreich darstellen und ihre Präferenzen für das künftige Verhältnis formulieren. Aus der Addition dieser Einzelinteressen soll ein Verhandlungsmandat für EU-Chefunterhändler Michel Barnier formuliert werden. Wobei die europäischen Grundsätze und Verträge gewahrt bleiben müssen.
In London: Die ersten Diskussionen im britischen Kabinett über die Zukunft des Landes nach dem Brexit fanden kurz vor Weihnachten statt. In Abstufungen stehen sich zwei Lager nach wie vor unversöhnlich gegenüber. Die Brexiteers wollen den Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion sowie alle EU-Gesetzgebung mit einem harten Schnitt beenden. Sie träumen von einem "freien Großbritannien", das weltweit Handelsabkommen abschließt und der EU als Wettbewerber gegenübertritt. Zu dieser Fraktion gehören Boris Johnson, Liam Fox, Jacob Rees-Mogg und andere.
Dem gegenüber streben Philipp Hammond, Amber Rudd und ihre Unterstützer einen möglichst weichen Brexit an, weil sie einen Absturz der britischen Wirtschaft fürchten. Sie wollen so viel EU-Regulierung wie möglich beibehalten, um den Zugang zu ihrem größten Exportmarkt zu schützen. Sie unterstützen den Brexit nur aus Parteidisziplin.
Premierministerin Theresa May hat zum Jahresanfang eine weitere Rede angekündigt, in der sie Grundzüge der britischen Wünsche vortragen will. Im Prinzip wollen sie und ihr Brexit-Minister David Davis eine maßgeschneiderte Lösung, die den Briten viele Rechte erhalten, sie aber von den europäischen Pflichten befreien würde.
22./23. März 2018: EU-Gipfel in Brüssel
Hier sollen die Übergangsphase beschlossen, die Scheidungsvereinbarung rechtlich festgenagelt und der Verhandlungsauftrag für Michel Barnier über das künftige Verhältnis zu Großbritannien erteilt werden.
Unklar ist, ob die britische Regierung bis dahin eine realistische Position definiert hat. Auch ist unsicher, ob die EU-Mitgliedsländer weiterhin so einig bleiben wie bisher, oder ob Interessenkonflikte aufbrechen.
Phase II: April 2018 bis Ende Oktober 2018
In Brüssel: Ziel ist es, eine politische Rahmenvereinbarung über das zukünftige Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien abzuschließen. Um dieses Ziel in sechs Monaten zu erreichen, müsste sich die britische Seite auf wesentlich intensivere und häufigere Verhandlungen einlassen als bisher. Denn eine solche Grundsatzerklärung muss bereits die gemeinsame Basis für spätere Handelsgespräche ab 2019 definieren.
Es geht darum, ein vergleichbares Spielfeld und fairen Wettbewerb zu garantieren, so haben es die EU-Regierungschefs zuletzt erklärt. Stellt man sich das Verhältnis EU-UK als gleitende Skala vor, hieße das: Je mehr EU-Regulierung die britische Seite beibehält, desto mehr Zugang behielte sie zum Binnenmarkt, und umgekehrt. Dabei gilt bisher die Warnung aus Brüssel: Keine Rosinenpickerei, also keine Auswahl genehmer Regeln für kritische Wirtschaftssektoren bei den Briten. Die EU steht unter dem Druck, die Vorzüge der Mitgliedschaft nicht zu verschenken. Nach dem Brexit wird die Lage für Großbritannien schlechter sein als vorher, betont Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Bisher beschreibt Michel Barnier das Angebot der EU als "Canada dry": Das wäre ein einfaches Handelsabkommen mit weitgehender Zollfreiheit für Waren, aber keinem Marktzugang für Dienstleistungen.
In London: Hier hängt viel davon ab, ob Theresa May Regierungschefin bleibt. Derzeit will eine Mehrheit der Tories sie im Amt halten, weil sie die Widersprüche beim Brexit ausbalanciert. Aber die politische Lage in London kann sich wieder ändern.
Bisher wollen ihre Regierung und ihr Brexit-Minister David Davis ein Abkommen, das er als "Canada plus, plus, plus" beschreibt: Marktzugang für Waren und Dienstleistungen inclusive Finanzmarkt. Die Briten wollen eigene Regeln machen, die dann von der EU als gleichwertig anerkannt werden. Das deckt sich in etwa mit den Versprechen von Brexit-Vorkämpfer Boris Johnson, der behauptete, die Briten könnten den europäischen Kuchen haben und essen. In Brüssel wird diese Möglichkeit kategorisch bestritten. Die Frage ist, ob es zwischen den unversöhnlichen Vorstellungen Kompromisslinien gibt. Im Prinzip, so hat sich bei den Scheidungsgesprächen gezeigt, sitzt die EU als größter Handelsblock der Welt am längeren Hebel.
EU-Gipfel am 18./19.Oktober 2018
Zu diesem Zeitpunkt soll die Rahmenvereinbarung über das künftige Verhältnis stehen und beschlossen werden. Denn im Prinzip brauchen die EU-Mitgliedsländer danach mehrere Monate Zeit, um ihre eigenen Parlamente mit dem Vorschlag für das neue Wirtschaftsabkommen EU- UK zu befassen. Allerdings glauben Skeptiker, dass dieses Datum nicht zu halten ist.
Nachfrist: Ende Oktober bis zum EU-Gipfel am 13./14. Dezember
Kurz vor Ende kann noch einmal heftig gestritten werden. Diese zwei Monate könnten dazu dienen, den Krach an allen Fronten unter Zeitdruck mit Kompromissen zu beenden. Denn bisher haben vor allem die Brexiteers die Realität verdrängt: Eine neue Vereinbarung wird unendlich kompliziert, weil vom Flugverkehr über den wissenschaftlichen Austausch bis zu den Finanzdienstleistungen alle Bereich neu geregelt werden müssen. Selbst ein Grundsatzabkommen darüber enthält viel Sprengstoff auf europäischer wie auf britischer Seite.
Offene Fragen
Bisher war Ideologie die stärkste Triebfeder beim Brexit. Die britische Verhandlungsstrategie zum Ende des nächsten Jahres dürfte aber auch von wirtschaftlichen Fakten beeinflusst werden. Schon jetzt berechnen Forscher, dass der Brexit Großbritannien 2017 rund ein Prozent Wachstum gekostet hat. Gleichzeitig ist die Inflation auf etwa drei Prozent gestiegen, vor allem wegen des Währungsverfalls. Stagnierende Löhne verschlechtern die Lebensbedingungen für Arbeitnehmer, die stark verschuldeten britischen Privathaushalte sind von einer Pleitewelle bedroht. Schon jetzt verliert das Königreich mehr Geld durch den Brexit, als es an EU-Beitrag leistet, so berechnet die "Financial Times", die den Verlust pro Woche auf rund 340 Millionen Pfund beziffert.
Klappt die Vereinbarung der Übergangsphase nicht bis zum März nächsten Jahres, dürften Unternehmen damit beginnen, ihre Brexit-Notfallpläne umzusetzen. Banken haben bereits begonnen, Niederlassungen auf dem Kontinent zu gründen. Auch für Pharmaunternehmen und andere, die für ihre Produkte EU-Genehmigungen brauchen, wird die Zeit dann knapp. Überzeugt die Position der britischen Regierung die Unternehmen bis zum Sommer nicht, könnte ein Brexodus mit Firmen-Umzügen beginnen.
Ob sich schließlich bis zum Herbst nächsten Jahres eine Mehrheit im britischen Kabinett auf ein Brexit-Modell für das Rahmenabkommen mit der EU einigen kann, ist nicht sicher. Es könnte auch Neuwahlen mit unabsehbarem Ausgang geben. Nach einer jüngeren Umfrage dreht sich inzwischen die öffentliche Meinung zum Brexit. Wie eine neue, eventuell eine Labour-Regierung dazu steht, ist unklar. Zu Beginn des Jahres 2018 sind fast alle entscheidenden Fragen zum Brexit auf britischer Seite noch offen.