1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 d5
22. Oktober 2002Es war bereits der zweite Kampf eines elektronischen Superhirns gegen ein menschliches Schachgenie: Vor fünf Jahren trat bereits Garri Kasparov gegen einen Computer namens Deep Blue an. Kasparov verlor. Wenn auch denkbar knapp. Die Niederlage macht ihm heute noch zu schaffen. Jetzt versuchte es sein "Schüler", der 27-jährige Vladimir Kramnik, gegen die Rechenmaschine zu bestehen.
Das Duell war spannend bis zuletzt: Kramnik und Deep Fritz lagen gleich auf mit je zwei Siegen, zwei Niederlagen und einem Remis. Doch die achte und letzte Partie war kein großer Kampf: Bereits nach 21 Zügen trennten sich der Weltmeister und das elektronische Schachprogramm remis. Von dem Preisgeld in Millionenhöhe, das Bahrains König Hamad bin Isa Al Khalifa ausgelobt hatte, erhält der Weltmeister 800.000 Dollar. An die Firma ChessBase aus Hamburg, die Deep Fritz entwickelte, gehen 200.000 Dollar.
Und so traten sie an, die beiden Kontrahenten:
Der Unerbittliche
Der Schachrechner Deep Fritz mit seinen acht Pentium4-Prozessoren ist extrem schnell und wendig – in einer Sekunde kann er mehr als drei Millionen Züge durchspielen. Das menschliche Gehirn schafft nur einen Bruchteil davon – ein, zwei oder vielleicht auch drei. Zudem war der Computer von seinen Entwicklern vor dem Match gut gefüttert worden. Sie hatten den Rechner besonders darauf gedrillt, menschliche Kreativität auszuhebeln.
Denn Deep Fritz ist lernfähig: Wenn ein bestimmter Zug in einer bestimmten Spielsituation nicht zum Erfolg führt, dann wird er das nächste Mal einen anderen versuchen. Ergo: Es ist unmöglich vorherzusehen, was in dem Programm während einer Partie so vor sich geht. Allerdings produziert die "Rechenkiste" auch jede Menge Datenmüll - längst nicht alles, was sie ausspuckt, macht im Kontext der Schachpartie auch wirklich Sinn.
Gegenhalten, nicht klein beigeben
Das menschliche Gehirn hat der gigantischen Rechenleistung von Deep Fritz nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Dennoch hat Kramnik ihm immer noch eines voraus: Intuition. Der Rechner weiß erst dann nicht mehr so recht weiter, wenn er Daten – also Züge – verarbeiten muss, die in seinem Schema nicht vorkommen. Zur Vorbereitung auf das Duell hat Kramnik zwei Wochen lang jeden Tag acht Stunden mit Deep Fritz zugebracht, um seinem "Gegner" auf die taktischen Schliche zu kommen.
Dumm nur: Deep Fritz hat unter anderem alle Partien von Kramnik in seiner Datenbank, die dieser jemals gespielt hat. Und anders als Kramnik selber kann der Computer jederzeit darauf zurückgreifen. Im Wettkampf hatte Vladimir Kramnik also nur eine Chance, wenn er den Computer mit einer ausgeklügelten, im wahrsten Sinne des Wortes unberechenbaren Taktik "überrumpeln" konnte.
4:4 Unentschieden
Das Duell hatte aber auch noch einen ganz anderen Nervenkitzel - die uralte Angst des Menschen, von der Maschine beherrscht und gesteuert zu werden. Die einst so "tumben elektronischen Gesellen" stellen sich längst nicht mehr so ungelenk an wie in den Frühzeiten ihres Daseins. Dennoch: Auch ein moderner Rechner tut nur das, von dem seine Entwickler wollen, dass er es tut. Den Computer, der sich verselbständigt und dann nach eigenem Gutdünken die Menschen tyrannisiert, gibt es (noch) nicht. Und auch ein elektronischer Ersatz für das menschliche Hirn ist noch nicht gefunden.