1968: Sex, Revolte, Selbsterkenntnis
Ein halbes Jahrhundert liegt das Jahr zurück, das einer Generation ihren Namen gab: 1968 entlud sich vieles, was lange gebrodelt hatte. Ein Geist schlüpfte aus der Flasche, der bis heute weiterlebt.
Liebe auf der Leinwand
Oswald Kolle brachte im Jahr 1968 den ersten Teil seines Aufklärungsfilms "Das Wunder der Liebe" in die Kinos. Die nachgestellten Sexszenen waren eine kleine Revolution. Ein Staatsanwalt drohte Kolle sogar mit Verhaftung. Dabei habe man den Film extra in Schwarz-Weiß gedreht und mit ruhiger Musik untermalt, da man befürchtete, dass die männlichen Kinobesucher sonst massenweise onanieren würden.
Der Vietnamkrieg und seine Gegner
Der Polizeipräsident von Saigon erschießt ein mutmaßliches Vietcong-Mitglied. Die Brutalität der Supermächte und ihrer Verbündeten im Vietnamkrieg mobilisiert Pazifisten weltweit. Bilder wie dieses lassen die Stimmung kippen. Im März 1968 verzichtet US-Präsident Lyndon B. Johnson auf eine weitere Kandidatur. Er stellt die Bombenangriffe der US-Armee ein und öffnet den Weg zu Verhandlungen.
Gewalt von Links
Aber Vietnam schürt auch Streit um Ideologien: Aus Protest gegen den "Völkermord in Vietnam" zündet eine Gruppe linker Aktivisten um Andreas Baader und Gudrun Ensslin Brandsätze in zwei Kaufhäusern in Frankfurt am Main. Der Beginn der Roten Armee Fraktion. Nach etlichen weiteren Anschlägen werden Baader und Ensslin 1972 festgenommen, aber die RAF findet Nachahmer in Deutschland und Europa.
Revolte der Studenten
Rudi Dutschke holt in Deutschland die Studenten gegen den Vietnamkrieg auf die Straße. In den Medien erfährt der führende Kopf der "Außerparlamentarischen Opposition" zunehmend Ablehnung und Hass. Bei einem Attentat im April 1968 wird er lebensgefährlich verletzt. Die Studenten klagen den Springer-Verlag an, durch die Berichterstattung zu Gewalt gegen Dutschke aufgerufen zu haben.
Gegen das Schweigen
Der deutschen Studentenbewegung ging es auch um eine offene Auseinandersetzung mit dem Erbe des Dritten Reichs. Gegen das Schweigen kämpfte die Journalistin und selbst ernannte Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld. Hier beschimpft sie Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, einst NSDAP-Mitglied, als "Nazi" und "Verbrecher." Einige Monate später ohrfeigt sie ihn sogar. Rechts: ein Saaldiener des Bundestags.
Tod eines Predigers
Am 4. April 1968 wird Martin Luther King in Memphis erschossen. Der Mord ist für viele Anhänger seiner Bürgerrechtsbewegung Ausdruck des tief verwurzelten Rassismus in den USA. Sie geben dem Staat eine Mitverantwortung. In mehr als 100 Städten der USA kommt es nach Kings Ermordung zu heftigen Krawallen mit vielen Toten und Verletzten. Das Bild zeigt King im März '68 bei einem Marsch in Memphis.
Ein Frühling ohne Sommer
Das Ziel war ein "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" - Alexander Dubcek wollte die Tschechoslowakei reformieren: weniger Zentralstaat, mehr Freiheit. Doch im August 1968 marschieren Truppen des Warschauer Paktes in Prag ein. Dubcek muss auf Druck der UdSSR alle Reformen zurücknehmen. Kurz nach der größten Militäroperation in Europa seit 1945 ist der sogenannte Prager Frühling beendet.
Hymnen der Revolution
Egal ob in Deutschland, den USA oder vielen anderen Teilen der Welt - mit dem Song "Hey Jude" landeten die Beatles 1968 den größten Hit des Jahres und den Bestseller ihrer Karriere. Rund 7,5 Millionen Mal verkaufte sich der Song. Auf der B-Seite der Single werden die Beatles mit "Revolution" politisch und singen - ganz im Zeichen der Zeit: "Wir alle wollen die Welt verändern."
Päpstliches Donnerwetter
Die Antibaby-Pille bedeutet für Frauen eine nie gekannte sexuelle Freiheit, die sich nicht nur im munteren Treiben der Studentenkommunen und Hippie-Zirkeln niederschlägt. Mit seiner Denkschrift "Humanae Vitae" stellt Papst Paul VI. sich 1968 gegen jede Form von künstlicher Verhütung. Der Papst löst damit einen Sturm der Entrüstung aus. Viele sehen ihre Bild einer weltfremden Kirche bestätigt.
Neue Selbsterkenntnis
Auch 1968 und zwar in Farbe: Am Weihnachtstag 1968 nimmt die Crew der Apollo 8 das Foto mit dem pathetischen Titel "Earthrise" - "Erdenaufgang" auf. Erstmals bekommt die Menschheit einen Blick auf ihren zerbrechlichen Planeten. Wie dieses Bild die Wahrnehmung der Menschen über die Erde beeinflusst, darüber wird bis heute diskutiert. Genauso wie über die Auswirkungen des turbulenten Jahres 1968.