1968: Lebensgefühl zwischen deutscher Biederkeit und studentischer Revolte
Knapp 20 Jahre nach Kriegsende befand sich die Bundesrepublik in einer extremen Umbruchphase. Studenten-Proteste mischten die Gesellschaft auf, die 68er revoltierten gegen Staatsraison, Tradition und Elterngeneration.
Provokation: Der Minirock
Die britische Modeschöpferin Mary Quant (rechts im Bild) machte Mini-Röcke als Erste salonfähig. Die Models zeigen viel Bein auf einer Modenschau im Jahr 1968. Schnell fand die freche Frauenmode auch in Deutschland Nachahmerinnen, auch im Alltag. Bald folgten Mini-Kleider, Kurzmäntel und - als kürzeste Variante - die "Hot-Pants", die gern in Kombination mit Maximänteln getragen wurden.
Frauen-Beat-Bands
Die Bühne der Rock- und Popmusik gehörte noch den Männer-Bands: Die Rolling Stones proklamierten den "Street Fighting Man", die Beatles sangen "Revolution". Frauen kamen höchstens als Sängerinnen oder Groupies vor der Bühne vor. Bis sich Ende der 60er die ersten weiblichen Beatbands, wie hier die "Rag Dolls" aus Duisburg, gründeten - mit coolen Frauen am Schlagzeug und an der Gitarre.
"Schlafzimmer-Blick"
Geschminkt zu sein, das war Mitte der 60er Jahre Teil der eleganten Abendgarderobe. "Eine deutsche Frau schminkt sich nicht", der Satz aus der Nazizeit wirkte immer noch . Schauspielerinnen wie Claudia Cardinale (Bild) oder Sängerinnen wie Esther Ofarim und Daliah Lavi animierten 1968 junge Frauen, tief in den Schminktopf zu greifen. Schwarzer Lidstrich und dunkel Augenbrauen waren damals "in".
Traditionsbewußtsein
Das Frauenbild in West-Deutschland war zu dieser Zeit noch sehr traditionell. Und an klar geordneter Familientradition orientiert: Frauen gehörten an Heim und Herd. Gesellschaftliches Vergnügen gab es als Sonntagsausflug mit der Familie, beim gesitteten Damenkränzchen - oder beim Schützenfest: Hier die Damenriege des Schützenvereins Wolfsburg, 1968 fotografiert von Robert Lebeck.
Sexsymbol: "Barbarella"
Der Gegenentwurf zur prüden, züchtigen Hausfrau der 60er Jahre kam 1968 mit dem Kinofilm "Barbarella" nach Deutschland. Unbeschreiblich weiblich, wie schon das französische Filmstarlet Brigitte Bardot, verführte Schauspielerin Jane Fonda in dem Science-Fiction-Film mit ihren Kurven nicht nur die Zuschauer. Regie führte Roger Vadim, die futuristischen Kostüme waren von Modeschöpfer Paco Rabanne.
Flower Power
Aus den USA kam die Polit-Parole "Make Love, not war" nach Deutschland. Mit ihr schwappten in den späten 60er Jahren die Einflüsse der amerikanischen Hippie-Bewegung über den Atlantik. Die Band von Gitarrist Jimi Hendrix, "The Jimi Hendrix Experience", trat 1968 in Köln, Berlin und London auf - und versetzte die Fans mit ihren freakigem Outfit und wilden Bühnenshows in helle Begeisterung.
Hippie-Look
Die US-amerikanische Sängerin Janis Joplin sang "Freedom is just another word for nothing left to lose", hier bei einem Konzert 1968. Sie machte den Hippielook auch in Deutschland populär. Bunte, wallende Kleider, wilde Lockenmähne, Ketten und bunte Armreifen oder folkloristisch angehauchte Bordüren-Shirts wurden bald von den Modeherstellern weltweit kopiert und sogar in Kaufhäusern angeboten.
Anti-Spießer-Kommune
Die Studentenrevolte von 1968 krempelte auch das Lebensgefühl um. Freie Liebe, wechselnde Sex-Partner, frei gewählte Lebensformen statt spießiger Ehe und braver Kleinfamilie. Wohngemeinschaften wurde gegründet, Kinderläden aufgemacht. Die berühmte "Kommune I" in Berlin, mit Rainer Langhans und Model Uschi Obermaier (vorne links) war das Vorzeigemodell der 68er. Funktioniert hat es nur begrenzt.
Feministische Kunst
Provokation pur. In der Kunst begann 1968 der Aufbruch der jungen Künstler in West-Deutschland. Bei ihrer Kunstaktion "Tap and Touch" forderte Künstlerin Valie Export auf der Straße Männer auf, sie zu begrapschen. In der Kunst sollten damals alte Zöpfe abgeschnitten,Traditionen und Herrschaftsstrukturen an den Kunstakademien abgeschafft werden. Mehr studentische Mitbestimmung war die Forderung.
Entdeckung der Arbeiterkultur
Die revoltierenden Studenten und auch die Künstler dieser Zeit entdeckten 1968 die Arbeiterkultur. Proletarier und Industriearbeiter wurden zu bevorzugten Objekten und Hauptdarstellern für Fotografen und linke Literaten. Arbeiterliteratur bekam einen ganz neuen Stellenwert und wurde als Fach in die Lehrpläne der Universitäten aufgenommen.
Protest-Kultur
Im Zuge der Studentenrevolte in Westdeutschland und Frankreich entwickelten die Studenten an den Hochschulen neue Formen der Protest-Kultur. "Sit ins", wie hier im Februar 1968 vor der Internationalen Vietnam-Konferenz an der TU Berlin, die der SDS einberufen hatte, und "Go ins" gehörten bald zum Alltag der Studenten. Und zeigten Wirkung bei den verkrusteten Hochschul-Verwaltungen.
Friedens-Bewegung
Auch die öffentlichen Versammlungsformen veränderten sich 1968. Nicht nur an den Hochschulen gab es spontane Demos, zu denen sich auch ganz normale Bürger und vor allem junge Leute einfanden. Auf großen Kundgebungen - wie hier am Bonner Hofgarten - sprachen sich bekannte Schriftsteller wie Heinrich Böll (Bild) für Frieden und weltweite Abrüstung aus. Die Friedensbewegung nahm damals ihren Anfang.