Eine Erinnerung an Lepsius, den Anwalt der Armenier.
25. April 2015
Wie Bonhoeffer und Schweitzer
„Unser einziges Ziel ist es, die Türkei bis zum Ende des Kriegs an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob die Armenier darüber zugrundegehen oder nicht.“ - so befand der deutsche Reichskanzler Bethmann-Hollweg zu Beginn des Jahres 1916. Damit beendete er alle Versuche, die Vernichtung des armenischen Volkes öffentlich bekannt zu machen und ernsthaft dagegen einzuschreiten. Waren die Armenier im osmanischen Reich doch auch für die deutschen Interessen eine unbequeme Minderheit, weil sie mit den Russen sympathisierten.
Nicht mehr erscheinen durfte darum auch eine Schrift des evangelischen Pfarrers Johannes Lepsius: „Bericht über die Lage des armenischen Volks in der Türkei.“ Doch Lepsius hatte vorgesorgt. Noch bevor die Schrift konfisziert werden konnte, hatte er 20 000 Exemplare privat verschickt. Es ließ sich nicht mehr gänzlich totschweigen, was mit den Armeniern geschah: die Massaker, die Deportationen in die Wüste, in den Hunger, ins Nichts.
Als der Weltkrieg endlich vorüber war, konnte Lepsius wieder handeln: Er ruhte nicht, bis das Auswärtige Amt ihm Akten zur Verfügung stellte und brachte die erste Dokumentation heraus, die den Völkermord an den Armeniern belegte. In Armenien ist Johannes Lepsius heute noch so bekannt, wie man in Deutschland Albert Schweitzer und Dietrich Bonhoeffer kennt. Und in die Reihe dieser christlichen Vorbilder gehört er auch. In diesen Tagen, wo des ersten Völkermords im 20. Jahrhundert gedacht wird, soll auch er in Erinnerung gebracht werden.
Ein Leben für die Versöhnung
Als Sohn eines berühmten Professors im Jahr 1859 geboren, verfolgte Johannes Lepsius zunächst vielfältige intellektuelle Interessen. Er neigte zur Philosophie und Literatur, studierte dann aber auch Theologie. Seine erste Stelle trat er in der deutschen Gemeinde in Jerusalem an, so begann seine besondere Liebe für das Morgenland, wie man damals noch sagte.
Zurück in Deutschland, erregte er gleich Ärger bei seiner Kirchenleitung, weil er als Pfarrer im Harz sich nicht damit begnügte, den Arbeitslosen in seiner Gemeinde Trost zu spenden. Er gründete auch eine kleine Teppichfabrik, um ihnen Lohn zu verschaffen.
Aber die Kontakte in den vorderen Orient brachen nicht ab, die dortige Missionsarbeit interessierte ihn ebenso wie der Islam, die fremde Kultur. Doch das trat in den Hintergrund, als er im Jahr 1895 von den ersten Massakern an der armenischen Bevölkerung erfuhr. Jetzt musste dort geholfen werden – zuerst den verwaisten armenischen Kindern. Lepsius legte sein Pfarramt nieder und baute ein Hilfswerk auf. Waisenhäuser und Hospitäler entstanden im osmanischen Reich, nicht nur für die christlichen Armenier, auch für arme Kurden und Türken. Die praktische Hilfe sollte der Versöhnung dienen. Daneben stritt der unermüdliche Lepsius aber auch politisch für die Sache der Armenier, die nach mehr Autonomie verlangten. Beinahe hätten sie es geschafft, doch dann kam der Krieg – und statt der schon zugesagten Reformen die Deportationen in die Wüste, die Massaker.
Lepsius reiste gleich 1915 in die Türkei, suchte Enver Pascha auf, den jungtürkischen Kriegsminister, der die Deportationen angeordnet hatte. Ausrichten konnte der Pfarrer aus Deutschland nichts mehr. Nur die Dokumentation des Verbrechens ließ er sich nicht nehmen, die brachte er noch fertig, bevor er 1926 starb – nicht ahnend, dass in Deutschland bald die Nazis an die Macht kommen würden.
Johannes Lepsius – ein Mensch, dem das ferne Unrecht genauso unter den Nägeln brannte wie das Elend vor der eigenen Tür. Ein Mensch, der sich entschlossen an die Seite einer verfolgten Minderheit stellte. Einer, den keine Macht der Welt davon abhalten konnte, seinem eigenen Rechtsgefühl zu gehorchen – ein Mutmacher, heute wie damals.
Zur Autorin:
Angelika Obert (Jahrgang 1948) war von 1993 - 2014 Rundfunk- und Fernsehbeauftragte der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz für den Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb). Nach dem Studium der Evangelischen Theologie und der Germanistik besuchte sie eine Schauspielschule, bevor sie Pfarrerin wurde. Als Autorin gestaltet sie auch Sendungen für den Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur. Jetzt ist sie im Ruhestand.
Verantwortlicher Redakteur: Pfarrer Christian Engels