Forschung und Alltag in der Eiswüste
20. Februar 2019Deutsche Welle: Herr Heitland, zehn Jahre Neumayer III – ist das ein Grund zum Feiern?
Tim Heitland: Das ist ein Grund zum Feiern, unbedingt. Die Station ist absolut super. Es ist eine wahnsinnig durchdachte und perfekt funktionierende, sehr beeindruckende Station. Etwas, was man so eigentlich sonst an keinem anderen Ort findet. Denn sie ist von ihrem baulichen Konzept mit den hydraulischen Stützen einzigartig. Sie bietet alle Voraussetzungen um dort Forschung zu betreiben. An einem Ort, der es einem nicht immer besonders leicht macht.
Und ich denke, ähnlich wie Seefahrer mit ihren Booten, haben auch Neumayer-Bewohner dann irgendwann eine ganz besondere und enge Beziehung zu ihrer Station, auf die sie so sehr angewiesen sind.
Sie waren 14 Monate am Stück dort und viele Monate gab es keine Möglichkeit, die Station zu verlassen. Wie war das?
Während einer Überwinterung gibt es ungefähr neun Monate eigentlich keinen Weg rein oder raus. Was daran liegt, dass die Wetterbedingungen das nicht zulassen aber auch daran, dass dann einfach keine Transportmittel mehr zur Verfügung stehen.
Die Flugzeuge, die normalerweise da sind und den Transport auf dem antarktischen Kontinent ermöglichen, verlassen den Kontinent während des antarktischen Winters. Das bedeutet für uns, dass wir dann eigentlich – außer zu Fuß oder mit unseren Pistenbullys und Skidoos – nicht mehr mobil sind.
Es stellt sich natürlich auch die Frage, wo man eigentlich hin möchte. Unser nächster Nachbar ist die südafrikanische Station in 250 Kilometer Entfernung….
Wie sieht denn der Alltag auf der Station aus?
Wir sind ja nicht zum Vergnügen da, auch wenn es ein großes Vergnügen ist, dort zu sein. Aber es gibt einen Arbeitsauftrag zu erfüllen: Die Wissenschaftler haben ihr Programme, ihre Observationen, die ja auch in der Wintersaison abzuarbeiten und zu betreuen sind. Die Technik kümmert sich um die technischen Belange, der Arzt um die Gesundheit, der Koch ums Essen. Bei all dem bleibt aber natürlich auch noch Freizeit . Und das ist dann eine Gelegenheit, um zum Beispiel die Pinguine zu besuchen.
Sie waren auch als Arzt auf der Station. Wird man in der antarktischen Kälte öfter krank?
Die Leute verbinden Kälte oft mit der Vorstellung einer Erkältung, damit, dass man schnell krank wird. Zu einer Erkältung gehören aber eigentlich Viren, manchmal auch Bakterien, und das alles haben wir dort nicht. Eigentlich lebt man wie in einem Luftkurort. Die Luft ist wahnsinnig sauber irgendwann hat sich jeder an die Viren der anderen gewöhnt. Und dann kommt eigentlich nichts mehr dazu. Natürlich ist es aber auch ein Ort an dem man sich gut verletzen und wenn man nicht Acht gibt, auch wirklich schnell in Gefahr bringen kann.
Wenn man aber den gesunden Menschenverstand einschaltet, die Regeln beachtet und die Gegebenheiten ernst nimmt – und das tun alle – dann ist es ein Ort, an dem man sehr gut gesund bleiben kann.
Und was gab es zu essen?
Was isst man, wenn man so weit im Süden sitzt und der nächste Supermarkt soweit entfernt ist … man isst im Prinzip vor allen Dingen das, was man gut lagern und tiefkühlen kann. Das ist in der Antarktis ja leicht möglich. Da brauchen sie im Prinzip ihre Pizza nur vor die Haustür zu legen. Aber Spaß beiseite, es ist eigentlich so, dass sie sich ganz normal ernähren können, mit Ausnahme von Frischware. Die Frischware wird einmal im Jahr mit dem Forschungsschiff Polarstern angeliefert und während der Sommermonate können auch die Flugzeuge, die die Menschen bringen, noch ein bisschen Frischware zusätzlich liefern.
Mit dem Garten Eden Projekt, einem Gewächshaus, haben wir seit nun etwas über einem Jahr auch während der Wintermonate etwas frisches Gemüse aus lokaler Produktion. Ansonsten haben sie eine riesige, ausgetüftelte Lagerhaltung. Wir ernähren uns also nicht von Dosenravioli und Tütensuppen, sondern von ganz normalem, guten Essen.
Was war das tollste Erlebnis?
Die Frage wurde mir schon oft gestellt und ich kann sie eigentlich nicht in wenigen Worten beantworten. Generell würde ich sagen: Alles. Auch wenn das eine wenig befriedigende Antwort ist. Aber es ist einfach ein einzigartiger Ort. Die ganze Natur, die Tierwelt, die Farben, die sie dort sehen, der Sternenhimmel, der ganz einzigartig ist durch eine völlig fehlende Lichtverschmutzung. Und die Polarlichter. Das sind alles einfach unvergessliche Eindrücke. Das Team zu erleben, Teil davon zu sein und zu sehen, dass man als Gemeinschaft funktioniert und dort ein gutes Leben hat. Auch das ist ein tolles Erlebnis.
Welche Forschung wird auf der Neumeyer III-Station betrieben?
Die Wissenschaft ist während der Wintersaison vornehmlich in den drei Observatorien angesiedelt, die dort langjährig betrieben werden. Da sind zum einen die Meteorologie, dann die Luftchemie und die Geophysik. Die Meteorologie beobachtet das Klima und das Wetter.
Einmal am Tag wird ein Wetterballon gestartet, einmal die Woche eine Ozonsonde. Die Atmosphärenchemie misst, vereinfacht gesagt den Zustand der Atmosphäre. Partikel in der Luft, Ruß zum Beispiel, aber auch Spurengase Methan oder Ozon. Und die Geophysik führt seismologische Beobachtungen durch, misst also Erschütterungen der Erde. Darüber hinaus wird auch das Magnetfeld der Erde und seine Veränderungen verfolgt.
Welche Erkenntnisse können nur dort gewonnen werden?
Die Stärke und das Besondere liegen zum einen darin, dass die Observatorien seit vielen Jahren kontinuierlich betrieben werden. Zum anderen aber auch, dass die Daten in der Antarktis ganz rar sind. Die Antarktis ist ja ein riesen Kontinent, größer als Australien und man kann sich vorstellen, wie wertvoll dadurch jede einzelne Datenerhebung wird.
Und alle Daten, die in den Observatorien gewonnen werden, gehen dann wiederum in internationale Messnetze ein und liefern einen ganz wichtigen und wertvollen Beitrag für Modelle, die zum Beispiel das Klima betreffen, die die Ausbreitung von Erdbeben betreffen und ähnlichem mehr. Last but not least betreut der Arzt noch eine medizinische Studie unter dem Aspekt der Weltraummedizin. Welchen Einfluss hat die Isolation auf Psychologie und Physiologie? Hier ist die Neumayer Station in ihrer Abgeschiedenheit und mit der kleinen Gruppe der Bewohner ein ideales Setting um, beispielsweise, die Bedingungen einer langen Weltraummission abzubilden.
In der ganzen Antarktis gibt es über achtzig Forschungsstationen aus etlichen Ländern. Warum ist das Interesse so groß?
Ich würde sagen, 80 Forschungsstationen sind, gemessen an der Größe des Kontinents, gar nicht so viele. Während des Winters sind darüber hinaus auch nur etwas mehr als 40 Stationen besetzt. Mal dahingestellt, ob das viel ist oder wenig, das Interesse ist natürlich groß, weil die Antarktis einfach eine riesen Fläche dieses Planeten bedeckt und die Antarktis aus ganz vielen Gründen wichtig ist. Da ist eine unendliche Menge an Wasser gebunden in Form von Eis. Wenn das schmilzt, dann kommt es natürlich zu einer Erhöhung des Meeresspiegels. Sie haben dort Bedingungen, die sie sonst nirgendwo haben. Da hängt alles mit allem zusammen.
Und dort zu verstehen, was passiert, warum es passiert und welchen Einfluss das auf den Rest vom Planeten hat, ist eine Aufgabe, die nicht nur interessant, für die Menschheit generell und damit auch unter gesellschaftspolitischen Aspekten wichtig ist. Als Teil der Helmholtz-Forschungsgemeinschaft hat man ja auch den Auftrag, für die Bevölkerung relevante Dinge zu beleuchten und zu erforschen. Und genau das passiert dort. Wie ändert sich das Klima, welche Prozesse laufen da ab? Manchmal beginnt der Informationsgewinn aber auch im Kleinen und von dort kann mitunter auf das Große extrapoliert werden.
Wird da auch zusammen gearbeitet oder macht jedes Land sein eigenes Ding?
Es gibt durchaus eine Zusammenarbeit. Man will die Dinge natürlich nicht unbedingt immer doppelt erforschen, zum einen. Zum anderen ist es dort, an einem Ort, der einem so rauen Klima und so geringer Infrastruktur ausgesetzt ist, besonders wichtig, sich auch sonst gegenseitig zu helfen. Das ist im Übrigen ebenfalls etwas, was ich im Erleben sehr schön finde. Zu sehen, dass und wie die Nationen zusammenarbeiten, sich unterstützen und man einfach ein schönes Miteinander hat.
Dr. Tim Heitland, Arzt und Stationsleiter, verbrachte 14 Monate auf der "Neumayer-Station III" in der Antarktis. Als Arzt war er dort im Auftrag des Alfred-Wegener-Instituts aus Bremerhaven für die Arbeitssicherheit des Forschungsteams verantwortlich.
Das Interview führte Mabel Gundlach.