Österreich: Rentendiskussion im Alpenstaat
29. Oktober 2003Selten hat in Österreich etwas für so viel Aufregung gesorgt wie die anstehende Pensionsreform. Der Gewerkschaftsbund wittert die politische Absicht der konservativen Regierung, die gesellschaftliche Solidarität, repräsentiert durch das staatliche Pensionssystem, zugunsten der privaten Versicherungswirtschaft zerstören zu wollen. Und so gibt es im Land der friedlichen Sozialpartnerschaft erstmals seit mehr als einem halben Jahrhundert groß angelegte Streiks, und manche Beobachter sehen überhaupt das Ende der Konsenspolitik und der vielgerühmten österreichischen Sozialpartnerschaft gekommen.
Frühpensionen soll es bald nicht mehr geben
Das Herzstück der von der Regierung geplanten Reform ist die stufenweise Abschaffung der Frühpensionen bis zum Jahr 2009. Gesetzlich besteht ein Pensionsanspruch für Frauen ab dem 60., für Männer ab dem 65. Lebensjahr. Das milliardenteure Problem: In Wirklichkeit gehen die Leute, im gemeinsamen Durchschnitt, mit nicht einmal 58 in Pension. Zweitens: Der Zeitraum für die Pensionsberechnung soll von den 15 besten Verdienstjahren auf die Lebensarbeitszeit ausgedehnt werden - wenn auch etappenweise, über die nächsten 25 Jahre. Das ergibt nicht nur generelle Einbußen, sondern besonders im Fall von Teilzeit- und Karenzperioden (also besonders für Frauen) eine Pensionsverringerung von bis zu 40 Prozent.
Österreicher gehen wieder auf die Straße
Seit Juni diesen Jahres ist die Rentenreform in Österreich beschlossene Sache. Trotz Generalstreik Seitens des Gewerkschaftsbundes stimmten Volkspartei (ÖVP) und Freiheitliche (FPÖ) dafür. Nun bereiten sich die Gewerkschaften auf weitere Auseinandersetzungen im Herbst vor. Die Regierung bezeichnet die Proteste als politische Streiks und will keinesfalls nachgeben. Wirtschaftsminister Martin Bartenstein von der Volkspartei hält es für einen großen Fehler, wenn die Bundesregierung dem Druck der Straße weichen würde. Die Replik von ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch meint dagegen: "Das sind die Menschen, die Ihre Partei, die Parteien, die hier sitzen, die auch als Gewerkschaftsmitglieder das Mandat geben, dass man Anliegen vertritt. Also tun sie nicht so, also ob das der Mob wäre, der auf die Straße marschiert."
Jörg Haider nutzt die Krise als Chance
Und plötzlich ist auch wieder der frühere FPÖ-Chef Jörg Haider mit im Spiel. Obwohl seine Partei als Junior-Partner mit der ÖVP die Regierung bildet, lässt sich der Kärntner Landeshauptmann im vertraulichen Gespräch mit dem sozialdemokratischen Oppositionsführer Gusenbauer blicken und schart freiheitliche Abgeordnete um sich, die sich wieder mehr als Anwälte der Kleinen Leute profilieren möchten. Offenbar herrscht bei einigen in der FPÖ die Furcht, dass eine allzu forsche Pensionsreform die eigene Existenz kosten könnte, denn seit dem Rückschlag bei der vergangenen Wahl steht die FPÖ arg geschwächt in der politischen Landschaft.
Die Mehrheit der Regierungsfraktionen im Nationalrat beträgt nur 6 Mandate. ÖVP-Chef und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel weiß, dass es in Sachen Pensionsreform auch um seine Regierung geht: "Irgendwo ist das ja auch der Test für die Regierungsfähigkeit einer Partei und das gilt für beide, die jetzt die Regierung bilden. Jetzt geht es darum, dass wir fest bleiben und dass wir gemeinsam diese notwendigen Beschlüsse tragen."