Top-Ökonom: Unsicherheit nach Wahl "nicht gut"
4. November 2020DW: Herr Professor Felbermayr, wie haben Sie die Nacht verbracht, haben Sie geschlafen oder die Wahl verfolgt?
Gabriel Felbermayr: Ich habe wenig geschlafen, nur ein paar Stunden. Es ist einfach unglaublich aufregend. Und diesmal gilt vielleicht noch stärker als sonst, dass die Wahl auch über die Zukunft der Weltwirtschaft und der transatlantischen Beziehungen entscheidet.
Nun sind sie kein Wahlforscher, sondern Ökonom und Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Sind Sie überrascht, dass der Wahlverlauf so knapp ist?
Ja, ich bin überrascht. In der Tat bin ich kein Wahlforscher, aber die Umfragen und auch die Prognosen waren relativ klar und haben Joe Biden deutlich vorne gesehen. Jetzt ist alles sehr viel knapper und der Ausgang unklar. Das überrascht mich schon.
Andererseits war es vor vier Jahren nicht anders, auch da lagen die Wahlforscher daneben. Und auch bei anderen bahnbrechenden Entscheidungen wie dem Brexit-Referendum war es nichts anders.
Überraschend ist vielleicht, dass Trump von den Latinos und den Americans of Color deutlich mehr Stimmen bekommen hat, als man dachte. Die Jahre von 2017 bis 2019 waren für diese Gruppen ökonomisch gute Jahre mit einem relativ hohen Lohnwachstum, und das hat sich für Trump wohl stärker ausgezahlt, als man bisher angenommen hat.
Im Moment sieht es danach aus, als müssten wir noch Tage, vielleicht sogar Wochen warten, bis ein Gewinner feststeht - je nachdem, ob noch Gerichte beschäftigt werden. Was bedeutet diese Phase einer verlängerten Unsicherheit für das Wirtschaftsleben?
Die jetzt anstehende Phase der Unsicherheit ist wirtschaftlich nicht gut. Sie führt dazu, dass Entscheidungen über Investitionen und Konsum verzögert werden. Es könnte zu einer Hängepartie kommen, etwa was ein neues Corona-Konjunkturprogramm in den USA angeht. All das strahlt negativ auf die Weltwirtschaft aus. Ich würde das allerdings auch nicht überbewerten, denn Mitte Dezember müssen die Dinge geklärt sein. Und dass es in den USA ein bisschen dauern kann, bis es Klarheit gibt, das ist auch nicht neu.
Mal angenommen, Trump würde gewinnen. Glauben Sie, er würde dann einfach so weitermachen wie bisher - oder erwarten Sie Änderungen in seiner Wirtschaftspolitik, weil er dann noch befreiter aufspielen könnte als bisher?
Ich glaube, eine Konstante in den vier Jahren von Trumps Amtszeit war seine Unberechenbarkeit. Und wenn wir jetzt alle davon ausgehen, dass er zum Beispiel mit seiner China-Politik weitermacht wie bisher, dann könnten wir eine Überraschung erleben. Es ist unklar. Er hat kein wirkliches Wahlprogramm. In ein paar Punkten würde er weitermachen, wie er angefangen hat: in der Umweltpolitik oder der Steuerpolitik; ich glaube nicht, dass es hier eine Kehrtwende geben wird. Aber ich kann mir vorstellen, dass es in der Außenpolitik zu Anpassungen kommen könnte, gerade wenn sich Trump die Frage stellen sollte, was ihm einen Platz in der Geschichte sichern könnte. Und dass er auch konstruktive Außenpolitik betreiben kann, haben wir in den letzten Monaten gesehen, etwa was den Nahen Osten angeht.
Und wenn Joe Biden gewinnen sollte? Wie würde sich die Wirtschaftspolitik der USA dann verändern ?
Es gibt ein relativ detailliertes Wahlprogramm. Die Demokraten wollen einen neuen Deal für Amerika und die Klimapolitik wieder in den Vordergrund rücken. Sie wollen große Investitionen in die Infrastruktur. Sie wollen Teile der Trumpschen Steuerreform zurückdrehen, die Besteuerung von Unternehmen wieder etwas anheben, auch die Steuern für die Reichen sollen steigen. Biden blickt stärker auf Fragen der sozialen Sicherheit, auf die Umweltpolitik und das Gesundheitssystem. Das ist ein ausgeglicheneres Bild, bringt aber vielleicht nicht dieselbe Dynamik beim Wirtschaftswachstum, wie wir das unter Trump erwarten könnten.
Sicher ist bisher nur, dass die Wahl viel enger ist, als die meisten Prognosen vorhergesehen haben. Das deutet darauf hin, dass die USA noch gespaltener sind, als die meisten erwartet haben. Müsste ein Präsident Biden vielleicht schon deshalb stärker am protektionistischen Trump-Kurs festhalten, um die Spaltung des Landes nicht noch weiter zu treiben?
Das ist sicherlich ein Grund, warum wir von Biden nicht erwarten können, dass er viele der für uns unangenehmen Maßnahmen zurücknimmt, die Trump begonnen hat. Und ganz grundsätzlich gilt: Joe Biden ist kein Freihändler. Er steht für eine gewisse Dosis von 'America first', und schon unter Barack Obama gab es 'Buy American'-Ansätze. Dabei werden systematisch inländische Anbieter gegenüber ausländischen bevorzugt, etwa bei der öffentlichen Beschaffung. Weil die Mehrheitsverhältnisse nun so eng sind, auch im Kongress, können wir davon ausgehen, dass Biden in der Außenpolitik und in der Handelpolitik keine großen Sprünge wird machen können. Zumal auch die sogenannte Fast Track Authority (die dem US-Präsidenten gegenüber dem Kongress mehr Macht in der Handelspolitik gibt - Anm. d. Red.) bald ausläuft. Handelspolitik zu machen wird also schwieriger.
Trump hat bereits gesagt, dass er glaubt, die Wahl gewonnen zu haben. Jetzt fordert er einen Stopp der Auszählung und will das Oberste Gericht anrufen - ohne dass klar ist, auf welcher Grundlage. Glauben Sie, dass hier noch was ganz Unvorhergesehenes passieren kann?
Ich hoffe es nicht. Es ist nicht ganz auszuschließen. Aber ich denke, dass sich weite Teile des Establishments - die Gerichte, die Republikanische Partei, das Militär, andere Behörden, die Polizei - auf dem Boden der Verfassung bewegen. Ich denke auch, dass die allermeisten Amerikaner kein Interesse haben an einer Eskalation. Ich bin deshalb hoffnungsfroh, dass es nicht zu Unruhen kommen wird. Ausschließen lässt sich in dieser aufgeheizten und polarisierten Situation allerdings nichts.
Der Österreicher Gabriel Felbermayr ist Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Kiel.
Das Gespräch führte Andreas Becker.