Ägypten - stärkste Militärmacht in der MENA-Region
7. Februar 2020920.000 Soldaten und Befehlshaber, 440.000 Armeebedienstete, dazu fast eine halbe Million Reservisten: Die ägyptische Armee ist eine der mächtigsten der Welt. Auf dem soeben veröffentlichten "Global Firepower Index" rangiert sie unter 138 analysierten Armeen an neunter Stelle weltweit.
Nicht nur hinsichtlich des Personals, sondern auch mit Blick auf die Ausrüstung ist die ägyptische Armee stark. So verfügt sie über 1054 Flugzeuge, unter ihnen 215 Kampfjets und 81 Kampfhubschrauber. Außerdem finden sich über 4295 Panzer und 11.700 gepanzerte Fahrzeuge in ihrem Besitz, dazu knapp 1100 Raketenwerfer.
Zwar fallen die Zahlen im Vergleich zur stärksten Armee der Welt - der US-Army - bescheiden aus. Die ist knapp 2,3 Millionen Soldaten und Kommandanten stark, verfügt über knapp 13.300 Flugzeuge und fast 6300 Panzer.
Doch in den Regionen Nahost und Nordafrika ist die ägyptische Armee die mit Abstand stärkste. Ihr folgt auf Platz elf die der Türkei und auf Platz 14 die des Iran. Die stärkste Armee in der Golfregion ist die saudische Armee auf Platz 17. Sie hat ein militärisches Personal von 803.000 Mann, verfügt über 879 Flugzeuge und 1069 Panzer.
Der Index berücksichtigt allerdings nicht die Qualität und das Alter der Waffen. Auch zählt er nur konventionelle Waffen - Atomwaffen berücksichtigt er nicht.
Stärke dank Friedensvertrag
In den vergangenen Jahren hat sich Ägypten kontinuierlich auf den vorderen Plätzen gehalten. Rangierte die nationale Armee im Jahr 2014 noch auf Platz 13, fand sie sich im Jahr 2017 bereits auf demselben Platz wie in diesem Jahr. Einen leichten Abrutsch 2018 hat sie zwischenzeitlich wieder aufgefangen.
Die Stärke des ägyptischen Militärs hat eine lange Vorgeschichte, sagt Günter Meyer vom Zentrum für Forschung zur arabischen Welt an der Universität Mainz. "Sie geht auf den Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten im Jahr 1979 zurück. Seitdem erhält das ägyptische Militär von den USA jährlich Waffen im Wert von rund 1,3 Milliarden Dollar. Zu einer Unterstützung in dieser Höhe hatten sich die Amerikaner damals sowohl gegenüber Israel als auch Ägypten verpflichtet."
Seine Schlagkraft baute und baut das ägyptische Militär während der Amtszeit von Präsident Abdel Fatah al-Sisi weiter aus. Einer Studie des "Carnegie Middle East Center" zufolge geht die Aufrüstung auf mehrere Faktoren zurück: eine zunehmende Bedrohung der nationalen und regionalen Sicherheit; verstärkten Druck aus Washington; die Zusammenarbeit des ägyptischen Militärs mit weiteren Partnern, insbesondere Russland und Frankreich. Ein weiterer Faktor ist Al-Sisis Entschlossenheit, einen möglichen Staatsstreich abzuwehren.
"Aus diesen Gründen drängt er auf eine dringend nötige Überarbeitung der ägyptischen Militärdoktrin, der Waffenbeschaffung und der Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit verbündeten Streitkräften", heißt es auf der Website des Carnegie Centers. Unklar sei, ob diese Reformen mit Verbesserungen im Bezug auf Schulung, Wartung und allgemeine Bereitschaft einhergingen.
Die innenpolitische Rolle des Militärs
Das ägyptische Militär spielt innen- wie außenpolitisch eine Rolle, sagt Günter Meyer im Gespräch mit der DW. Im Inneren wird es vor allem auf dem Sinai eingesetzt. Seitdem die dschihadistische Organisation 'Islamischer Staat' (IS) dort präsent ist, hat sich die Sicherheitslage auf dem Sinai massiv verschlechtert. "Doch trotz massiver militärischer Präsenz ist es der Regierung bislang nicht gelungen, den Islamischen Staat auf der Sinai-Halbinsel unter Kontrolle zu bringen oder zu vernichten. Das zeigt, dass erhebliche innenpolitische Probleme weiterhin ungelöst sind."
Die Lage dort habe inzwischen auch Einfluss auf die Einkaufspolitik der Armee, ergänzt Said Saddiki, Experte für internationales Recht und internationale Beziehungen an der Universität Fez in Marokko. "Die spezifischen Sicherheitsherausforderungen auf dem Sinai sind ein wichtiger Faktor für die Größe und Art der Waffen, die die Armee erwirbt."
Außenpolitische Herausforderungen
Vor allem aber spielt die Armee in der ägyptischen Außenpolitik eine Rolle. Im Jemen, wo Ägypten im Rahmen der von Saudi-Arabien angeführten internationalen Koalition gegen die Huthis kämpft, hat die Armee des Landes nach Informationen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" wiederholt Bombenangriffe geflogen.
Eine wichtige Rolle spielt sie auch im ägyptisch-äthiopischen Konflikt um den Bau eines Wasserkraftwerks. Für dieses will Äthiopien erhebliche Wassermengen aus dem Blauen Nil abführen. "Dies würde in Ägypten die Wasserversorgung durch unzureichenden Zufluss massiv gefährden", sagt Günter Meyer. "Die Existenz von fast hundert Millionen Ägyptern wäre bedroht. So hat Ägypten wiederholt angedroht, es werde militärisch eingreifen, sollte keine befriedigende Lösung gefunden werden."
Stellvertreterkrieg in Libyen
Auch in Libyen sieht sich Ägypten herausgefordert. Das Nachbarland ist nach mehreren Jahren Bürgerkrieg zur Bühne eines internationalen Stellvertreterkriegs geworden. Die Regierung in Kairo befürchtet, im Nachbarland könnten sich die Muslimbrüder neu organisieren, nachdem diese in Ägypten während der Amtszeit Al-Sisis blutig niedergeschlagen worden waren. Tatsächlich werden die Muslimbrüder in Libyen durch die Türkei und Katar unterstützt.
"In diesem Stellvertreterkrieg hat die ägyptische Regierung eine militärische Intervention angekündigt" sagt Günter Meyer. "Die Regierung in Kairo arbeitet eng mit der Exilregierung in Tobruk zusammen. Und die hat angekündigt, würde die Türkei eine 'Invasion' starten, würde das Kabinett Kairo um eine militärische Intervention bitten. Das wäre dann ein offener Konflikt." Wie ernst man in Kairo ein solches Szenario nimmt, hat sich in den letzten Wochen gezeigt, als die Armee an der ägyptischen Mittelmeerküste mehrere große Manöver abhielt.
Doch sei es fraglich, ob die ägyptische Armee es tatsächlich wagen werde, sich auf einen bewaffneten Konflikt mit der Türkei einzulassen, sagt Said Saddiki im DW-Interview. "Noch ist offen, ob die Armee wirklich dazu beitragen kann, das Kräfteverhältnis in Libyen zugunsten Ägyptens zu verändern."