Ägypten: Eine neue Vision für Kairo?
Alles soll neu werden auf der Nilinsel Warraq in Kairo: Der Staat lässt Häuser abreißen, um Platz für Immobilienprojekte zu schaffen. Auch andere Viertel sind betroffen. Die Bewohner wehren sich gegen ihre Vertreibung.
Kairos Manhattan?
Die Zukunft wirft ihren Schatten voraus: 2019 wurde die hier zu sehende große Tahya Misr Autobahnbrücke über den südlichen Teil der Nilinsel Warraq gebaut. Ende Juli gab die Regierung nun bekannt, die gesamte Insel bebauen zu wollen: Auf Warraq soll ein modernes Stadtquartier nach dem Vorbild Manhattans entstehen. Doch dafür müssen die jetzigen Einwohner umgesiedelt werden.
Bedrohte Idylle
Das Megaprojekt würde nicht nur die Vertreibung der Einwohnerinnen und Einwohner bedeuten, sondern auch den Charakter der Insel nachhaltig verändern. Seit Generationen wird hier Landwirtschaft betrieben: Grüne Felder wechseln sich ab mit Bewässerungskanälen und den roten Backsteingebäuden der Bewohner. Die Regierung plant hingegen, Wolkenkratzer und Jachthäfen auf Warraq zu errichten.
Futuristik im Wüstensand
Ägyptens Regierung hat eine glitzernde Vision für die Zukunft der Hauptstadt. "Cairo Vision 2050" wurde bereits 2008 initiiert und nun reaktiviert. Im Rahmen dieses Megaprojekts soll etwa 45 Kilometer östlich von Kairo die "New Administrative Capital" aus dem Boden gestampft werden. Das Foto zeigt die laufenden Baumaßnahmen. Die Umgestaltung Warraqs ist ebenfalls Teil dieses Projekts.
Zerstörung oder "Entwicklung"?
Weitere Zwangsumsiedlungen auf Warraq sind damit vorprogrammiert: Bereits 2015 hatte die Regierung die "Entwicklung" der größten Insel in der Metropolregion Kairo angekündigt. Und sie ließ Taten folgen: Hier steht eine Einwohnerin im Juli 2017 mit ihrem Baby vor den Überresten eines zerstörten Hauses. Auf der Insel leben rund 90.000 Menschen.
Widerstand am Wasser
Die Insulaner widersetzen sich den Räumungsaktionen. Bei diesem Versuch der Polizei, einen Teil der Insel zu stürmen, kam 2017 ein Mensch ums Leben. Die Regierung begründet die Zwangsumsiedlungen auch damit, dass ursprünglich landwirtschaftlich genutztes Land vor mehr als 15 Jahren von Hausbesetzern besiedelt worden sei, die die Insel "in einen Slum verwandelten".
Gentrifizierung im Hintergrund
Die Behörden greifen hart durch: Der Warraq-Aktivist Ramy Kamel verbrachte mehr als zwei Jahre in Untersuchungshaft, bevor er im Januar 2022 freigelassen wurde. Ihm wurde "Terrorismus" vorgeworfen. Dabei versuchen Aktivistinnen und Aktivsten wie Kamel lediglich, Warraq so zu erhalten, wie es heute ist - auch wenn hier schon die Pfeiler der neuen Autobahnbrücke im Hintergrund zu sehen sind.
Letzte Verbindung
Ein Boot bringt Menschen vom Festland nach Warraq - die Insel ist ein Filetstück, nur eine Fährfahrt vom Stadtzentrum der Megacity Kairo entfernt. Inzwischen dürfen nur noch Menschen, die auf der Insel leben, Warraq betreten. "Eine der Fähren wurde vor kurzem geschlossen", sagte ein Einwohner der Nachrichtenagentur AFP. Die beiden verbleibenden würden von Sicherheitsdiensten überwacht.
Spur der Verwüstung
Massenvertreibungen finden auch in anderen Vierteln Kairos statt, so wie hier in der antiken "Totenstadt", einem der größten Friedhöfe der Stadt. Menschen, die sich die horrenden Kairoer Mieten nicht leisten können, hatten hier ein Zuhause gefunden. Doch Bulldozer pflügten 2020 Hütten und uralte Grabkammern um und schufen Platz für eine Autobahn - ungeachtet der Proteste von Anwohnern und UNESCO.
Bedrückende Aussichten
"Es ist ein Gentrifizierungsprozess - das Stadtzentrum wird von Armut befreit, um Platz für Investitionen zu schaffen", sagte Stadtplaner Ahmed Zaazaa. Auch wegen Straßenbauprojekten wie der hier zu sehenden König Salman-Brücke - die direkt an Wohnhäusern vorbeiführt - finden Umsiedelungen statt. Die Modernisierungspolitik geht vor allem zulasten einkommensschwacher Menschen.
Archaische und moderne Infrastruktur
Ein Eselskarren fährt unter der Tahya Masr-Brücke hindurch. Die Bewohner anderer Inseln befürchten, dass das Warraq-Projekt nur der Anfang ist: In diesem Jahr wurden 16 weitere Nilinseln an die Armee übergeben. Experten schätzen, dass in Kairo seit der Machtübernahme von Präsident Al-Sisi im Großraum Kairo bereits 15.000 Gebäude abgerissen und mehr als 220.000 Menschen vertrieben wurden.