Mexikanerin mit Faible für Deutschland
Nach einem anstrengenden Probentag geht sie meistens zum Ausgleich joggen. Gelegentlich postet sie das auch in den Sozialen Medien. Mal aus Tokio, mal aus Chicago. Im September gibt die gefeierte Dirigentin Alondra de la Parra ihr sportliches Intermezzo am Bonner Rheinufer – während des Campus-Projekts von Deutsche Welle und Beethovenfest Bonn.
Lebensnaher Kulturbegriff
Die Mexikanerin, die in England und den Vereinigten Staaten ausgebildet wurde, macht sich für einen lebensnahen Kulturbegriff stark: „Durch den Umgang mit Kultur trainieren wir Geist und Seele“, ist sie überzeugt. „Je mehr Auseinandersetzung du mit Musik, Tanz oder Kunst hast, umso mehr stellst du dich in Frage, fragst, wer du bist und wer du sein möchtest. Eine Herausforderung, die inneres Wachstum fördert und uns die Gegenwart wertschätzen lässt.“ Für die Nähe und den Kontakt zu Kultur spielten auch Medien eine wichtige Rolle. Generell sei sie mit der Kulturberichterstattung zufrieden, so de la Parra. Ihre Vision dennoch: „Konzerte und kulturelle Ereignisse sollten einmal so viel Aufmerksamkeit erhalten wie sportliche Großveranstaltungen.“
Bestnoten für Deutschland
Der Kulturnation Deutschland attestiert sie Bestnoten. Sie schätzt die Vielfalt des Angebots und die Brillanz auf vielen Gebieten. „Für mich ist es das Land, in dem ich großartige Musik erlebt und viel gelernt habe“, sagt die 35-Jährige, die aus einer Künstlerfamilie stammt. „Etwa bei Sir Simon Rattle, als er mich die Proben mit den Berliner Philharmonikern verfolgen ließ.“ Heute sei es das Land, in dem sie am häufigsten dirigiert und viele Freunde hat. Und dessen Sprache sie seit drei Jahren lernt.
Es gibt vieles, was sie am Leben hier schätzt. „Etwa das große Angebot an Bio-Läden“, gibt sie lachend zu. Die Einstellung der Menschen zu Ernährung und Gesundheit, das breite Bewusstsein für den Schutz natürlicher Ressourcen und der Einsatz beim Klimawandel imponieren ihr. Auch der Sinn für Effizienz und Perfektion gefalle ihr an den Deutschen. Ebenso die Zuverlässigkeit: „Wenn man sich hier verabredet, kommt derjenige auch. Das ist in meinem Heimatland nicht immer der Fall. Mexikaner haben dafür ein wunderbares Gespür für zwischenmenschliche Töne, eine feine Art, Freundschaften zu pflegen, loyal zu sein, besonders innerhalb der Familie“, räumt sie ein. „Zudem wissen wir gut zu feiern und das Leben zu genießen. Das ist eine Qualität. Auch Deutschland weiß zu tanzen und zu singen, aber Mexiko ist darin ruhmvoll“, ist sie sicher. „Ich mag beide Kulturen und auch, jeweils einen Fuß darin zu haben.“
Mit Merkel über Work-Life-Balance sprechen
Zur Frage, welche Person aus deutscher Gegenwart und Vergangenheit sie gern treffen würde, fällt ihre Wahl auf Richard Wagner: „Es wäre fantastisch, ihn zu treffen. Ich würde mit ihm über seine Musik, über die Symbolik darin, über die Aufführungen und die Reaktionen sprechen und wie er damit umgegangen ist.“ Da wäre auch der Dirigent Carlos Kleiber. „Weil er mit österreichischer Abstammung in Berlin geboren ist, dann in Buenos Aires gelebt und viel in Deutschland dirigiert hat. Vielleicht hatte er daher eine mir ähnliche Perspektive. Wir könnten gut das Leben hier mit dem Leben in Lateinamerika vergleichen. Außerdem ist er mein Lieblingsdirigent“, verrät sie. Auch Sasha Waltz, neue Chefin des Berliner Staatsballetts, kommt ihr für ein Treffen in den Sinn: „Ich wüsste gern, wie sie die Ideen für ihre Choreografien entwickelt, was zuerst kommt, wie aus einer Idee ein Stück wird.“
Zu Beginn wenig vertraut, aber umso interessanter stellt sie sich ein Gespräch mit Angela Merkel vor. „Ich finde, sie macht einen wunderbaren Job. Ich würde sie einfach als Mensch treffen und mit ihr über vieles sprechen wollen, um sie näher kennenzulernen. Beispielsweise über Führung, auch wenn zwischen ihrer Art der Führung und meiner als Dirigentin ein großer Unterschied besteht.“ Zudem interessiert sie die Work-Life-Balance der Kanzlerin: „Was macht sie zum Beispiel zum Ausgleich nach einem anstrengenden Tag?“
Zur Person:
Alondra de la Parra ist in New York City geboren und in Mexiko aufgewachsen. Sie beschloss mit 13 Jahren, Dirigentin zu werden. In Mexiko-City studierte sie am Centro de Investigación y Estudios Musicales (Studienzentrum Musik, CIEM) Komposition, bevor sie mit 20 Jahren nach New York an die Manhattan School of Music ging, wo sie Klavier bei Jeffrey Cohen und Dirigieren bei Kenneth Kiesler studierte. Sie hat mehr als 70 Orchester geführt und breite internationale Anerkennung für ihre fesselnde und lebendige Darbietung erhalten.
Alondra de la Parra hat in diesem Jahr den Orchester-Campus von Deutsche Welle und Beethovenfest Bonn realisiert und dazu mit dem Bundesjugendorchester (BJO) Auftritte in Mexico-City und jetzt in Bonn (15.9.) und Berlin (16.9.) De la Parra wurde zur neuen Musikdirektorin des Queensland Symphony Orchestra (QSO), Australien, ernannt und tritt diese Position im Anschluss an ihre Deutschlandtournee ab 2017 an.