Madonnas Bildband "Sex" neu aufgelegt
1992 versetzte das Erscheinen von Madonnas Bildband "Sex" viele in Aufruhr. Der Vatikan nannte ihn "moralisch nicht akzeptabel", Japan und Indien untersagten die Publikation, während einige Kirchen in den USA ihre Geschäftsbeziehungen zu Druckereien überprüften, weil sie ihre Bibeln nicht von denselben Druckerpressen hergestellt wissen wollten, durch die das Buch gelaufen war.
Dabei verkaufte sich der damals 50 US-Dollar teure Bildband (circa 48 Euro), der einen Tag nach der Veröffentlichung des dazugehörigen Albums "Erotica" erschienen war, in den ersten 24 Stunden 150.000 Mal in den USA. Weltweit erreichten die Verkaufszahlen 1,5 Millionen. Er stand auf den Bestsellerlisten der Washington Post und der New York Times und gilt noch immer als begehrtes Sammlerstück.
Jetzt, 30 Jahre später, werden 800 Exemplare neu aufgelegt - von Saint Laurent Rive Droite. Bei der Art Basel in Miami Beach werden vom 29. November bis 4. Dezember zudem erstmalig großformatige Drucke daraus zu sehen sein, kuratiert von Madonna höchstpersönlich und Anthony Vaccarello, einem italienischen Modedesigner und aktuellem Kreativdirektor von Saint Laurent. Eine limitierte Anzahl an Büchern wird von Madonna signiert werden. Der auf einer Auktion daraus erzielte Erlös soll dann in den kommenden Monaten an ihr Wohltätigkeitsprojekt "Raising Malawi" gehen.
Großes Entsetzen Anfang der 1990er
Der Band von 1992 war in Aluminiumfolie eingeschweißt und sollte einem verpackten Kondom ähneln. Die von Steven Meisel erstellten Fotografien zeigten auf 128 Seiten eine nackte und halbnackte Madonna, die verschiedene Sexualpraktiken und BDSM-Szenen nachstellte.
Berühmtheiten wie das britische Supermodel Naomi Campbell, Model und Schauspielerin Isabella Rossellini und der in den 1990er Jahren bekannte Rapper Vanilla Ice, mit dem Madonna zwischenzeitlich liiert war, hatten Gastauftritte darin.
Als Autorin fungierte Madonnas Alter Ego "Mistress Dita" - inspiriert von der deutschen Filmschauspielerin Dita Parlo aus den 1930er Jahren. "Es geht nicht darum, mich selbst zu übertreffen", sagte Madonna 1992 gegenüber USA Today. "Amerika ist sexuell so verklemmt geworden - vielleicht ist das der Grund, warum die Leute mir dieses Stigma anhängen: 'Wie weit wird sie gehen?'"
Während der Inhalt des Buches allgemeine Fassungslosigkeit hervorrief, begegneten einige Kritiker ihren Versuchen, ihrer Sexualität Geltung zu verschaffen, eher bissig.
Deirdre Donahue von USA Today schrieb 1992, Madonna bediene sich "derselben müden sexuellen Fantasien", die man auch in Pornomagazinen finde. Das Buch sei nicht schockierend, sondern "albern" und "pathetisch". "Und, was am schlimmsten ist, ungewollt lustig."
Madonna indessen hat Kontroversen im Laufe ihrer Karriere nie gescheut. Ihr Musikvideo zu "Like A Prayer" enthielt brennende Kreuze und einen schwarzen Jesus, was die katholische Kirche erzürnte. "Justify My Love" wurde sogar von dem scheinbar revolutionären Sender MTV als zu gewagt angesehen. Ihre Live-Auftritte waren ähnlich aufsehenerregend. Wer kann schon den Kuss auf Britney Spears' Lippen bei den MTV Music Video Awards 2003 vergessen? Als Spears im September 2021 Sam Asghari heiratete, wiederholten die beiden Sängerinnen ihren Kuss.
Ein freches postfeministisches Werk?
Im Oktober dieses Jahres reflektierte Madonna in einer Instagram-Story, dass sich die Standards verändert hätten, wie Frauen heute über Sex sprechen und über ihre Sexualität bestimmen dürften. "Vor 30 Jahren veröffentlichte ich ein Buch mit dem Titel S.E.X. Neben Nacktfotos von mir gab es Fotos von Männern, die Männer küssten, von Frauen, die Frauen küssten und von mir, die alle küsste. Außerdem schrieb ich über meine sexuellen Fantasien und teilte meine Sichtweise über Sexualität auf ironische Weise", schrieb sie auf Instagram.
"Die nächsten Jahre brachte ich damit zu, von engstirnigen Menschen interviewt zu werden, die versuchten, mich dafür zu beschämen, dass ich mich als Frau selbst ermächtigt hatte", fuhr Madonna in ihrem Post fort. "Ich wurde eine Hure, eine Hexe, eine Ketzerin und der Teufel genannt."
"Gern geschehen" - Madonna als Befreierin
Obwohl sie anfangs dafür verurteilt worden war, "zu weit gegangen" zu sein, fielen spätere Besprechungen positiver aus, sogar in der Wissenschaft wurden die Erfolge von Madonnas Band diskutiert. Ein Artikel aus der Huffington Post von 2017 stellt beispielsweise heraus, dass "sich Michael Jackson jahrelang in den Schritt fasste, Prince bei den MTV Video Music Awards von 1991 einen Hosenanzug trug, der das Hinterteil unbedeckt ließ, aber es Frauen nur erlaubt war so und so viele Knöpfe zu drücken".
Darüber hinaus wurde Madonna mit Kolleginnen der 80er Jahre verglichen, die ihre Sexualität in anderer Ästhetik verpackten: mit Cyndi Lauper und ihrer Punk-Persönlichkeit, mit Annie Lennox und ihrer Androgynität, mit Janet Jackson und deren Hymnen über Respekt sowie mit einer Liebeshunger ausstrahlenden Whitney Houston.
Aram Sinnreich, Professor im Fachbereich Kommunikationswissenschaft der American University von Washington, D.C., wurde im Oktober von USA Today zitiert, dass Madonna "zu erkennen begann, dass sie als einer der größten Popstars der Welt die Möglichkeit hatte, offen und positiv über Sexualität zu sprechen, und zwar auf eine Weise, die für eine ganze Generation von Frauen befreiend sein könnte".
Madonna jedenfalls ist überzeugt, dass ihr Buch weiblichen jungen Popstars den Weg bereitet habe, freizügiger mit Sexualität in der Öffentlichkeit umzugehen. Sie kommentierte ironisch, dass die Rapperin Cardi B jetzt in ihren Liedern explizit Körperteile beschreibe, Kim Kardashian ihren Hintern auf Zeitschriftencovern entblöße und Miley Cyrus auf einer Abrissbirne daherkommen könne.
Ihren Instagram Eintrag beendete sie knapp und bündig mit: "You're welcome." (auf Deutsch: "Gern geschehen.")
Adaption aus dem Englischen: Verena Greb